Gesund­heit­liche Ungleichheit — Experteninterview

Exper­ten­in­terview mit Sozial­wis­sen­schaftler Herrn Dr. Böhme

René Böhme - Armutsforscher - Institut Arbeit und Wirtschaft - Uni Bremen
blauer Farbstrich

14.10.2024

Das Exper­ten­in­terview deckt auf: Herr Dr. Böhme, Sozial­wis­sen­schaftler an der Uni Bremen erläutert aus sozial­wis­sen­schaft­licher Perspektive die Entwicklung von sozialen Schichten. Außerdem wird erwähnt, wie die soziale Lage mit der gesund­heit­lichen Lage zusam­men­hängt und welche Auswir­kungen insbe­sondere die gesund­heit­liche Ungleichheit auf das Leben von langzeit­ar­beits­losen Menschen hat. Es werden aktuelle Themen der Arbeits- und Gesund­heits­po­litik besprochen und mögliche Best-practice-Methoden gesammelt. Reinhören lohnt sich!

Alina Büyükdag: Guten morgen heute zu einer neuen Podcast folge, heute ein Exper­ten­in­terview mit Herrn Dr. Böhme, Sozial­wis­sen­schaftler an der Uni Bremen, heute zum Thema gesund­heit­liche Ungleichheit, und wir sammeln so ein bisschen Best-practice-Methoden, um auch die gesund­heit­liche Lage von arbeits­losen Menschen zu besprechen und Handlungs­emp­feh­lungen mit unserem Experten durch­zu­gehen. Ich würde Herrn Dr. Böhme auch einfach mal bitten, sich kurz zu Wort zu melden, vielleicht sich einmal ganz kurz vorzustellen.

Dr. René Böhme: Ja, einen wunder­schönen guten Morgen! Mein Name ist René Böhme, bin, wie gesagt, schon wie vorge­stellt worden, Sozial­wis­sen­schaftler am Institut Arbeit und Wirtschaft der Univer­sität Bremen, beschäftige mich seit 2011 mit Fragen sozialer Ungleichheit, kommu­naler Armuts­prä­vention und habe hier in Bremen auch die Bremer Armuts­kon­ferenz mitge­gründet, und da ist praktisch durch das Thema 2015 haben wir das Thema Armut und Gesundheit gesetzt, durch die Bremer Armuts­kon­ferenz, und seitdem beschäftige ich mich auch mit den Fragen kommu­naler Gesundheitsförderung. 

Alina Büyükdag: Also, sie passen da, glaube ich, sehr gut bei uns rein auf jeden Fall. Wir arbeiten viel mit arbeits­losen Menschen im sozialen Kontext zur kommu­nalen Gesund­heits­för­derung. Also bin ich total froh, dass wir heute den Podcast aufnehmen dürfen mit ihnen, und würde auch schon ziemlich schnell in den Inhalt starten, was mich auch direkt persönlich inter­es­siert und bestimmt auch unsere Hörer und Hörerinnen. Zur ersten Frage, die ich ihnen gerne stellen würde, welche sozialen Schichten werden denn momentan unter­schieden, und wie sind insbe­sondere langzeit­ar­beitslose Menschen dort einzuordnen? 

Dr. René Böhme: Ja, da würde ich anmerken, dass der Schicht­be­griff in den Sozial­wis­sen­schaften heutzutage eigentlich eher nur noch selten verwendet wird. Der ist vor allen Dingen so in den 60 er/70 er Jahren entstanden zur Beschreibung eben auch von gesell­schaft­lichen Verhält­nissen, und da ist man eben davon ausge­gangen, dass gesell­schaft­liche Gruppen relativ stark vonein­ander abgeschichtet sind und es eben da eine relativ klare Trennung gibt. Und da ist praktisch dieser Schicht­be­griff entstanden. Dann im Laufe der 80, 90, 2000 Jahre, hat man so festge­stellt, ja, es gibt eigentlich stärker auch eine Durch­mi­schung in der Gesell­schaft, es gibt mehr soziale Aufstiege, auch praktisch später in den 70 er/80 er Jahren, und dann ist praktisch aus dem franzö­si­schen Raum eher dieser Milieu­be­griff in die Beschreibung gesell­schaft­licher Verhält­nisse hier in Deutschland hinein­ge­kommen. Und da unter­scheidet man häufig nach sozialer Lage einer­seits und Orien­tie­rungen und Werten anderer­seits. Ein typisches Beispiel sind die sogenannten Sinus­mi­lieus, wo man dann verschiedene Milieu­gruppen unter­scheidet und wenn man mal in diese Sinus­mi­lieus reinschaut, ist es eine Gruppe, die dort beschrieben wird, das ist ein sogenanntes prekäres Milieu, und da würde ich dann auch die Gruppe der der langzeit­ar­beits­losen Menschen einordnen. In der Forschung ist es aller­dings häufig schwierig. Da haben sie gar nicht so viele diffe­ren­zierte Daten über die Menschen, die sie praktisch befor­schen, um dann wirklich zu sagen, wie sind denn deren Orien­tie­rungen und Werte und die soziale Lage, um wirklich in so einer zwei Pensionen Syste­matik die Menschen einzu­ordnen? Deswegen wird es in den Studien, die es zum Thema soziale Lage und Gesundheit gibt, häufig ein bisschen verein­fachter gemacht. Dann taucht dann der Begriff sozialer Status auf oder sozio­öko­no­mi­scher Status. Das sind so zwei Begriffe, die da häufig sich wieder­finden lassen. Und dann gibt es die Unter­scheidung in der Regel drei Kategorien: hoch, mittel und niedrig. Sie hört sich dann erstmal relativ abstrakt an: hoher sozialer Status, mittlerer sozialer Status oder niedriger sozialer Status. Was verbirgt sich dahinter? Verbirgt sich eben in der Regel dahinter ne Diffe­ren­zierung ein Stück weit nach Einkommen und Bildung, und Menschen eben mit niedrigem Einkommen und eher gerin­geren Bildungs­ab­schlüssen gehören dann eben in eine Gruppe mit einem niedrigen sozio­öko­no­mi­schen oder eben sozialen Status, und umgedreht einkom­mens­starke Gruppen, hohe Bildungs- und beruf­liche Quali­fi­zie­rungs­ab­schlüsse kennzeichnen Menschen mit einem hohen sozialen oder sozio­öko­no­mi­schen Status. 

Alina Büyükdag: Okay, vielen dank, da fasse ich schon mal zusammen: Schicht wird momentan oder mittler­weile nicht mehr benutzt, der Begriff, sondern eher Milieu oder besonders auch Status, und langzeit­ar­beitslose Menschen sind eher im niedrigen sozialen Status einzuordnen.

Dr. René Böhme: Genau, was man so ein bisschen mit Sorge sehen muss, dass wir in den letzten sozusagen zehn Jahren, 15 Jahren wieder zu dieser Beobachtung kommen, dass die gesell­schaft­liche Durch­mi­schung wieder eher ein Stück weit zurückgeht, dass wir eher über Verfes­tigung von Armut, disku­tieren auch Verfes­tigung von sozialen Benach­tei­ligung und damit eigentlich wieder so ein Stück weit zurück­gehen zu einer sehr stark verschich­teten Gesell­schaft. Da muss man sozusagen beobachten, ob das dann auch dazu führt, dass dieser Begriff eine Renais­sance erlebt. Es ist zumindest aber so, dass die Beobach­tungen, die wir als Sozial­wis­sen­schaftler, Sozial­wis­sen­schaft­lerin machen, dahin­gehend, dass eben wieder auch stärker die die gesell­schaft­lichen Gruppen sich vonein­ander abtrennen und da eben nicht mehr so eine starke Durch­mi­schung zustande kommt. 

Alina Büyükdag: Vielen dank. Wir haben dann schon mal ein Stück weit die langzeit­ar­beits­losen Menschen ein wenig einordnen können, was die soziale Lage angeht. Wie sieht es denn da bei der Entwicklung der gesund­heit­lichen Lage aus, konkret von arbeits­losen Managen? Können sie da im Zusam­menhang soziale und gesund­heit­liche Lage etwas mitteilen? 

Dr. René Böhme: Ja, da gibt es praktisch schon eine sehr lange Forschungs­tra­dition zum Thema Wechsel­wirkung von Arbeits­lo­sigkeit und Gesundheit und da hat es schon in den siebziger und 80er-Jahren Studien gegeben, die relativ deutlich das Ergebnis hervor­ge­bracht haben, das langan­hal­tende Arbeits­lo­sigkeit eben negative psychische Effekte hat, wie beispiels­weise eine erhöhte Depres­si­vität oder erhöhte psycho­so­ma­tische Beschwerden, psych­ia­trische Probleme oder auch Alkoho­lismus, ist damals beschrieben worden. Und dann setzt sich das so ein bisschen fort, dass wir eigentlich seit den 80 er, 90 er Jahren dann immer wieder Studien haben, die auch im Langzeit­ver­gleich dann eben sich angeschaut haben, wie wirkt sich eben auch Arbeits­lo­sigkeit im Verlag auf, oder wie verändert sich die gesund­heit­liche Lage im Verlauf der Arbeits­lo­sigkeit. Und die sind eigentlich alle bitter zu denselben Ergeb­nissen gekommen, dass das Arbeits­lo­sigkeit eben zu schlech­terer psychi­scher Gesundheit und geringere Eigen­in­itiative führt, dass es zu Resignation, Rückzug, vermin­derten Selbst­wert­gefühl, vermehrter Inanspruch­nahme von Gesund­heits­dienst­leis­tungen, Familien-/Part­ner­schafts­kon­flikten, soziale Isolation, Schlaf­stö­rungen, depressive Störungen, Angst­er­kran­kungen und Sucht­mit­tel­konsum sozusagen als Folgen hier beschrieben werden. Und mittler­weile, wenn man jetzt in die 2010 er Jahre reinschaut, gibt es eigentlich Studien, die relativ klipp und klar sagen, wir haben sehr deutliche empirische Hinweise darauf, dass Arbeits­lo­sigkeit eben einen schädi­genden Einfluss auf die Gesundheit der Menschen hat. 

Alina Büyükdag: Wir als Gesundheitswissenschaftler:innen jetzt gerade in dem Programm für arbeitslose Menschen, haben genau das auch heraus­ge­funden. Gerade auch die Dauer der Arbeits­lo­sigkeit sagt viel aus, geht eben ganz stark auch auf die psychische Gesundheit, die körper­liche Gesundheit, soziale Kontakte. Und genau gibt es ganz viele Studien zu, die das genau belegen. Wie wirkt sich denn die gesund­heit­liche Ungleichheit, wenn wir das jetzt so begrifflich zusam­men­fassen können, auf das Leben von Betrof­fenen aus, gerade was das Gesund­heits­ver­halten, vielleicht auch die Lebens­er­wartung angeht? Sie haben ja jetzt schon eine Reihe von Folgen, auch Symptome teilweise genau aufge­listet. Können sie vielleicht konkret zu den beiden Punkten noch etwas sagen? 

Dr. René Böhme: Ja, ich würde noch mal auf einer Ebene darüber beginnen, auf auf einer Meso-Ebene, die Frage aufwerfen, wie kommen wir überhaupt zu dieser gesund­heit­lichen Ungleichheit? Was sind sozusagen die Facetten da ist, wie gesagt, das Gesund­heits­ver­halten ist das eine, auch gesund­heit­liche Versorgung ist das andere. Da komme ich gleich noch mal dazu. Ich würde aber erst mal noch mal einsteigen mit eben Unter­schieden in den gesund­heit­lichen Belas­tungen, dass wir da sehr deutliche Unter­schiede haben zwischen eben Menschen mit niedrigem sozialen Status und hohem sozialen Status beispiels­weise. Wenn wir das jetzt mal auf Menschen in Arbeits­lo­sigkeit fokus­sieren, ist häufig dieser Punkt der Armut ein recht starker Aspekt, der sich auf die gesund­heit­liche Lage auswirkt. Also Armut, das zeigen verschiedene Studien, ist ein Stress­moment. Die Menschen haben Sorge, wie sie auch den Monat sozusagen mit den finan­zi­ellen Ressourcen bestreiten sollen. Es gibt gibt Sorge auch über die Situation, dann der, wenn wir an Familien denken, wie kann man sozusagen für die eigenen Kinder da sein? Kann man den Kindern das bieten, was man ihnen gerne bieten möchte? Menschen wohnen häufig, wenn sie arbeitslos, langzeit­ar­beitslos sind, in schwie­ri­geren Wohnum­ge­bungen, die sich eben beispiels­weise durch einen höheren Lärmpegel auszeichnen. Es gibt viele Studien, die aufzeigen, dass der Wohnraum von Menschen in Armut und eben dann auch von Arbeits­losen sich häufig oder Wohnraum­mängel, zum Beispiel Feuch­tig­keits­schäden, Schimmel, undichte Fenster oder ähnliches auszeichnet, und dann eben auch die größere Distanz zu Grünan­lagen, die in den Wohnen-Rahmen­be­din­gungen gegeben sind. Also das ist das eine, und das andere ist, dass wir auch noch einen Unter­schied auch in den Bewäl­ti­gungs­res­sourcen haben, also dass Menschen durch auch ihre häufig segre­gierte Lage gar nicht den Kontakt haben zu Menschen, die ihnen da auch vielleicht ein positives Vorbild sein könnten, die ihnen auch mal Hinweise, entspre­chende Tipps geben könnten, wie man da vielleicht auch Dinge anders gestalten kann, und dass sich eben auch die Netzwerke dann sehr deutlich unter­scheiden und eben einfach auch bestimmte Infor­ma­tionen fehlen, die man benötigt, um in diesem ganzen Gesund­heits­system sich irgendwie zurecht­zu­finden. Und dann als dritter Punkt, diese Unter­schiede in der gesund­heit­lichen Versorgung, die ich schon angesprochen habe, die haben auch viel mit der Segre­gation zu tun. Gerade wenn wir jetzt an den großstäd­ti­schen Raum denken, stellen wir in unseren Studien fest, dass sich die medizi­nische Versorgung in sozial benach­tei­ligten Quartieren sehr deutlich unter­scheidet von der medizi­ni­schen Versorgung in eher sozial privi­le­gier­teren Quartieren. Das heißt, sie haben die Fachärzte gar nicht vor Ort. Sie haben häufig dann keine passenden Hausärzte mehr, die Kinder­ärzte-Situation. Die müssen deutlich, viel, deutlich, viel mehr Kinder behandeln als in anderen Quartieren, und das führt eben auch dazu, dass dann eben bestimmte Vorsor­ge­un­ter­su­chungen gar nicht in Anspruch genommen werden. Weil dann hatten wir bei unseren Armuts­kon­ferenz, da hatten wir eine Hausärztin aus einem benach­tei­ligten Quartier hier in Bremen. Die hat sehr deutlich gesagt, ich habe in unserem Stadtteil die höchste Inzidenz von bestimmten Krebs­er­kran­kungen. Ich hab aber gar nicht die Fachärzte, ich habe eine riesige Lungen­krebs­in­zidenz, ich habe sozusagen eine hohe Darmkrebs- Verdachts­mo­mente. Ich kann den Menschen aber nicht sagen, hier bei ihnen vor Ort im Quartier gibt es die entspre­chenden Fachärzte, sondern sie müssten eigentlich in einen anderen Stadtteil fahren. Dann sind wir wieder bei der Frage, machen die Menschen das haben sie die finan­zi­ellen Ressourcen, um auch die Fahrt­kosten bestreiten zu können? Haben sie irgendwie die Betreuung der Kinder sicher­ge­stellt, dass sie dann da irgendwie mögli­cher­weise auch ohne die Kinder hinfahren können? Dann sind wir auch wieder bei dieser Frage Stichwort Allein­er­zie­hende, die ja auch in der Gruppe der Arbeits­losen, langzeit­ar­beits­losen Menschen eine wichtige Rolle einnehmen. Wie sollen die sowas bestreiten bei der Frage der sprach­lichen Hürden, das sich gerade auch viele, immer mehr Zugewan­derte in der Gruppe der Arbeits­losen und  Langzeit­ar­beits­losen befinden. Das heißt, auf dieser Mes-Ebene haben wir eine ganze Reihe von Punkten, die sich eben für arbeitslose Menschen negativ auswirken, und dann haben sie schon angesprochen das Stichwort Gesund­heits­ver­halten. Das ist mir aber wichtig, dass wir das immer erst an der, an der letzten Stelle nennen, weil es wird häufig in der öffent­lichen Diskussion wird das immer rausge­griffen. Das merke ich auch, wenn ich so Presse­inter­views hier im Raum in den letzten Jahren gegeben habe, wollen Journa­listen immer gerne am liebsten nur über das Gesund­heits­ver­halten sprechen, und ich sage aber nein, wir müssen erst mal über die anderen Dinge sprechen, die ich gerade gesprochen habe, weil das Gesund­heits­ver­halten ist häufig das Ergebnis dieser Dinge, dass ich sozusagen mehr Stress in meinem Alltag habe, dass ich mehr Belas­tungen in meinem Alltag habe, dass ich eben nicht diese Ressourcen in meinem Umfeld habe, in meinem familiären Kontext habe, um mit diesen Belas­tungen auch anders umzugehen. Deswegen sehen wir dann eben einen überdurch­schnitt­lichen Substanz­ge­brauch, also insbe­sondere, was das Rauchen, was den Tabak­konsum betrifft. Wir sehen ein unter­durch­schnitt­liches Bewegungs­ver­halten, also weniger Bewegung im Alltag. Wir sehen eher ungesunde Ernährung, die eben stärker auf  Fleisch, Fleischerzeug­nisse, Wurst­waren, Süßwaren, Snacks, Limonaden und eben generell stärker auch zucker­hal­tiges, kohlen­hy­dratreiches Essen zurück­greifen und eben selten auf frisches Obst, Gemüse, Pilze, Hülsen­früchte oder ähnliches verzehren. Und wir sehen eben, was ich schon angedeutet hatte, diese geringere Inanspruch­nahme auch von Vorsor­ge­un­ter­su­chungen beim Thema Gesundheitsverhalten. 

Alina Büyükdag: Wir in den Gesund­heits­wis­sen­schaften würden das ganz klassisch, so wie sie es gerade erklärt haben, so definieren.: Wir haben die Verhält­nis­prä­vention, dass das, was sie angesprochen haben, also wie sieht die Umgebung, der Wohnraum aus, auch soziale Kontakte, Hilfe, Unter­stützung, Fachärz­te­mangel. Ja auf jeden Fall auch die gesund­heit­liche Versorgung. Und wie kann ich mich denn eigentlich gesund verhalten, wenn vor Ort gar nichts an Verhält­nissen da ist, das heißt, keine Gesund­heits­kurse oder ein Park zum Beispiel Stadtgrün/Stadtblau sind wir hier dann auch stark drin und dementspre­chend sie dann auch in den Quartieren, wie sie gesagt haben, wo dann die Belastung etwas höher ist. Wenn wir vom niedrigen sozialen Status sprechen, sieht man das dann eben auch an dem Gesund­heits­ver­halten, dass das sich dahin­gehend anpasst, Genau da würde ich dann auch schon darauf eingehen. Wenn wir von Verhältnis und Verhalten sprechen und Quartieren, da inter­es­siert uns die Frage natürlich gerade mit ihnen als Experte. Welche Erfahrung haben sie denn schon in der kommu­nalen Gesund­heits­för­derung im Quartier gemacht zur Bekämpfung genau dieser gesund­heit­lichen Ungleichheit, dass wir die Verhält­nisse vielleicht auch schaffen könnten, also wie sehen da best practice Kriterien aus.

Dr. René Böhme: Mhm, ja muss zum einen erstmal zum Ergebnis kommen, dass die Rahmen­be­din­gungen für eben lokale Gesund­heits­för­de­rungen, die sind eben viele Orts, relativ schlecht. Also das hat sich sozusagen auch in den letzten Jahren eher verschlechtert. Diese Rahmen­be­din­gungen, wir haben es praktisch seit den Neunzi­ger­jahren mit einem Anstieg von Segre­gation zu tun, soziale Segre­gation vor allen Dingen, ethnische Segre­gation, gar nicht so stark mehr, sondern da gibt es auch durchaus Trends, dass die ein bisschen zurückgeht. Aber eben soziale Segre­gation ist sehr stark, und neuere Studien unter­scheiden auch nochmal das Thema Bildungs­se­gre­gation. Auch das ist ein riesiges Problem. Auch Armuts­se­gre­gation wird mittler­weile unter­schieden, und diese drei Punkte Bildungs­armut und soziale Segre­gation, die nehmen sehr massiv zu, und die führen eben auch dazu, dass sich eben die Menschen zunehmend in bestimmten Milieus bewegen, wo dann eben die Belas­tungen besonders hoch sind. Das sind dann sogenannte Nachbar­schafts­ef­fekte. Wenn ich gar nicht mehr mitbe­komme, dass es eben auch andere Lebens­stile gibt, sondern das ist sozusagen dann eben die neue Norma­lität, die sich in diesem segre­gierten Umfeld dann darstellt. Dann wirkt sich das erstmal, was die Rahmen­be­din­gungen betrifft, etwas schwie­riger aus. Dann haben wir eben seit vielen Jahren mit einem Anstieg von Armuts­pro­blemen zu tun, und wir wissen, Armut wirkt sich ganz massiv auf die gesund­heit­liche Situation aus und wenn sich eben Armuts­pro­bleme verschärfen, einfach schärfen sich letzt­endlich auch Gesund­heits­pro­bleme. Wir haben es sehr massiv in den letzten zehn Jahren mit Migra­ti­ons­phä­no­menen zu tun, und da haben wir eine Gruppe, die gerade wenn wir an die Geflüch­teten denken, ja erst mal ohne Sprach­kennt­nisse hierher kommen. Die kennen unser Gesund­heits­system eben nicht, die müssen sich da erst mal orien­tieren, die wissen nicht, was eine Kranken­ver­si­cherung ist, wie man da auch zu seinen Leistungen kommt. Die kommen mit ganz beson­deren Belas­tungen auch nochmal her. Das Stichwort auch psychische Belas­tungen, Traumata, und das ganze trifft praktisch noch auf ein Erwerbs­för­de­rungs­system, was mit der Agenda 2010 auf das Phänomen Druck gesetzt hat. Ja, wir müssen nur mehr Druck machen, dann kommen die Menschen schon in den Arbeits­markt. Das sind sozusagen natürlich extrem ungünstige Rahmen­be­din­gungen, eine Verschärfung von sozialer Ungleichheit, darauf noch mit Druck sozusagen zu reagieren und das noch bei einem Gesund­heits­system, was eher zurück­gebaut wurde, was eher auch durch den Perso­nal­mangel sehr stark geprägt ist. Wir haben es sozusagen mit einer Schließung von Kranken­häuser in struk­tur­schwachen Regionen zu tun, dass dann die Wege länger sind. Wir haben jetzt immer häufiger mit auch Facharzt und Ärzte­mangel in vielen Regionen zu tun. Das sind natürlich erst mal sehr ungünstige Rahmen­be­din­gungen, und nichts desto trotz würde ich sagen, kann man schon in den letzten Jahren von einem gewissen Kurswechsel sprechen hin zu der von ihnen schon angespro­chenen Verhält­nis­prä­vention. Also da würde ich schon ein paar Stellen und Hinweise sehen, dass wir da so ein Umdenken drin haben, zumindest auf der lokalen Ebene. Also, bundesweit kann man schon auch sagen, okay, da ist schon noch viel Verhal­tens­prä­vention, wenn man an die ganzen Image, Kampagnen, Werbe­kam­pagnen auch der Kranken­kassen denken. Das ist noch nicht so richtig unbedingt auf das Thema Verhält­nis­prä­vention ausge­richtet. Aber mit dem Präven­ti­ons­gesetz müssen die Kranken­kassen ja auch einen gewissen Anteil pro Versi­cherten für Prävention ausgeben, und davon hatte vorhin mal reinge­guckt, von den 7,52 € pro Versi­cherten sollen auch 2,15 € direkt in die Lebens­welten fließen. Im Moment, das heißt, da gibt es eine gesetz­liche Vorgabe mit dem Präven­ti­ons­gesetz mittler­weile, dass da auch Dinge in die Quartiere fließen müssen und da sehe ich durchaus auch, dass wir in den letzten Jahren eine ganze Reihe von zusätz­lichen Projekten in vielen Stadt­quar­tieren, da, wo ich mich jetzt vor allen Dingen auskenne, in den ländlichen Regionen. Das nochmal so eine Frage, da müsste ich tatsächlich, die kann ich nicht beant­worten, wie das in den ländlichen Regionen, ob es dort auch wirklich zu einer Verbes­serung dieser Gesund­heits­in­fra­struk­turen gekommen ist. Aber hier, was die, die städti­schen Regionen betrifft, haben wir, wie gesagt, mittler­weile eine ganze Reihe von Projekten, die über dieses Präven­ti­ons­gesetz finan­ziert werden. Ich sehe, dass wir gerade in den Kitas und Schulen durchaus da jetzt mit Sozial­päd­ago­gInnen-Programmen. Diese Einrichtung, also sowohl Schul­so­zi­al­arbeit als auch Kita-Sozial­arbeit, ist gerade in den benach­tei­ligten Lagen deutlicher deutlich an Bedeutung gewonnen in den letzten zehn, 15 Jahren, und da spielt natürlich auch das Thema Gesund­heits­för­derung dann ne Rolle. Da habe ich gerade hier ein Programm auch im Bremen evaluiert. Da kann man das durchaus sagen, dass Famili­en­bildung, Gesund­heits­för­derung da auch Aufgaben von diesen sozial­päd­ago­gi­schen Fachkräften sind. Es gibt auch immer mehr so Gesund­heits­fach­kräfte. Das sehe ich hier auch, dass wir dann auch als Ergebnis der Pandemie da jetzt auch so Gesund­heits­fach­kräfte in den Quartieren haben, auch Gesund­heits­fach­kräfte in den Schulen, die da versuchen wirklich auch mit den Kindern und Jugend­lichen das Thema Gesundheit aufzu­ar­beiten, die versuchen, Koope­ra­tionen zu schließen mit anderen Trägern, um da wirklich dieses Thema Gesundheit in diese Orte im Quartier hinein­zu­holen. Weil das ist sozusagen der Grundsatz der Verhält­nis­prä­vention, ist dann sozusagen dieser genau der Setting-Ansatz, zu sagen, wir müssen an die Lebens­welten an, und da sind Kita, Schule, das, das Jobcenter und eben der Arbeits­platz, der Stadtteil wären schon so die die wesent­lichen Lebens­welten, und da kann man schon sagen, in vielen dieser Lebens­welten hat das Thema Gesund­heits­för­derung in den letzten Jahren Einzug halten, auch wenn ich mir die Programme der sozialen Stadt­teil­ent­wicklung anschaue. Da gibt es ja viele größere Städte, die neben dem soziale Stadt Programm, was ja sehr investiv ausge­richtet ist, auch so ein eher konsum­tives Programm haben, was so Projekte in den benach­tei­ligten Quartieren fördert. Auch da spielt das Thema Gesund­heits­för­derung aus meiner Wahrnehmung eine zunehmend größere Rolle. Und dann muss man sagen, dass gerade das ist vielleicht auch so ein positiver Effekt in Anfüh­rungs­strichen positive, eine der wenigen positiven Effekte der Pandemie, sage ich mal, dass wir zu einer Stärkung der öffent­lichen Gesund­heits­dienste wieder­ge­kommen sind, dass viele Kommunen und Bundes­länder erkannt haben, dass die Pandemie uns gezeigt hat, dass unsere öffent­liche Gesund­heits­dienste da eben zu schwach aufge­stellt sind, und da sehe ich schon so eine gewisse Renais­sance, auch dass diese Dienste jetzt wieder mehr Mittel bekommen, auch wieder mehr Programme auflegen können, um wirklich die Menschen auch von Klein an, also von Primär­prä­ven­ti­ons­an­ge­boten, auch wieder stärker zu erreichen. Und auch in der lokalen Arbeits­markt­po­litik gibt es so ein leichtes Umdenken, sag ich mal, wenn ich mir beispiels­weise das Programm Rehapro anschaue, was ja mit dem Bundes­teil­ha­be­gesetz ja auch entspre­chend gefördert wird. Das ist ja auch ein Umdenken, zu sagen. Ich muss mir eigentlich die Erwerbs­fä­higkeit der Menschen anschauen, und da muss man auch ein Stück weit sich ehrlich machen und sagen, wie steht es denn um die Erwerbs­fä­higkeit vieler langzeit­ar­beits­loser Menschen, und dann auch wirklich mal sich anschauen, wie die gesund­heit­liche Lage vieler langzeit­ar­beits­loser Menschen ist, und dann wird man zum Ergebnis kommen. So einfach ist es eben gar nicht für Menschen, die langzeit­ar­beitslos sind, mal eben in den Arbeits­markt hinein­zu­kommen bei bestimmten gesund­heit­lichen Einschrän­kungen, die vorhanden sind, weil wir natürlich mit dem Erwerbs­fä­hig­keits­be­griff von drei Stunden pro Tag sehr niedrig ansetzen. Und wie gesagt, ich bin auch im Amt Rechts­be­treuer und sehe da zum Beispiel auch einen meiner Klienten, der, wie gesagt, lange Zeit Alkohol­pro­bleme hatte, gesund­heit­liche Probleme in Richtung Depression. Da ist eine Zehe amputiert worden, und trotzdem zählt als erwerbs­fähig. Also da, da kann man wirklich genau, und die Gutachten, auch von Reha, Kliniken, haben aber immer wieder das Kreuz bei erwerbs­fähig gesetzt. Also da, da müssen wir einfach mal ein Stück weit ehrlicher machen, was heißt für uns Erwerbs­fä­higkeit und was, wenn wir den Begriff so niedrig ansetzen, was sind dann unsere Erwar­tungen? Ich habe häufig das Gefühl, das fällt aus andere, wir zählen, alle möglichen Menschen, irgendwie ist erwerbs­fähig, habe aber dann extrem hohe Erwar­tungen. Und da ist zum Beispiel das Programm Rehapro jetzt so einer dieser Pflanzen, sage ich mal, die man weiter pflegen muss, weil die eben sich ein Stück weit ehrlicher machen und sagen, wir haben eben ne ganze Reihe von Menschen, wo wir durchaus was verbessern können in Bezug auf die Erwerbs­fä­higkeit, und wir müssen erst die Erwerbs­fä­higkeit verbessern, ehe wir über irgend­welche Druck und Zwang und ähnliche Maßnahmen nachdenken, und zu sagen, jetzt müsst ihr aber ihr müsst ihr folgendes Joban­gebot annehmen, sondern erstmal tatsächlich an dieser gesund­heit­lichen Situation was zu verbessern. Und auch durch diese ganze Diskussion zum Thema lokale Klima­po­litik. Auch da sehe, ich, komme so ein bisschen dieses Thema Gesundheit nochmal über eine andere Schiene rein, wenn ich mir jetzt sowas wie Hitze­ak­ti­ons­pläne. Wir haben zum Beispiel gerade hier in Bremen so eine Hitze­karte gemacht und kommen natürlich wenig überra­schend zum Ergebnis, dass es die sozial benach­tei­ligten Quartiere sind, die auch wieder am stärksten von Hitze­phä­nomen betroffen sind, und dann müsste man natürlich auch die Konse­quenz, da sind wir, glaube ich, noch nicht unbedingt in jedem Schritt zu sagen. Was heißt das, dass wir das wissen, dass es diese Quartiere sind. Aber das hieße natürlich zum Beispiel, man müsste sehr viel stärker in Entsie­gelung von diesen von Flächen in den benach­tei­ligten Quartieren gehen, sehr viel stärker in Richtung Begrünung, sehr viel stärker sozusagen Abkühlung, auch Sanierung von Wohnraum. Das sind dann die Schritte, die dann auch kommen müssten, wenn man sozusagen lokale Klima­po­litik auch ernst nimmt, und die würden sich natürlich dann auch wieder positiv auf die gesund­heit­lichen Rahmen­be­din­gungen von von langzeit­ar­beits­losen Menschen auswirken. Nichts desto trotz sage ich, trotz dieser positiven Entwicklung, die ich aufge­zeigt habe, gibt es da durchaus noch eine ganze Menge Luft nach oben, also gerade so diese Verzahnung von diesen, von diesen Projekten mit den Lebens­welten, also gerade die direkte Verzahnung von Kranken­kassen mit den Trägern von Schulen und Kitas. Da sehe ich noch Potenzial, nach oben, dort wirklich auch zu verläss­lichen Koope­ra­tionen zu kommen. Der Perso­nal­mangel schlägt auch immer mehr an vielen Stellen durch und er schlägt vor allen Dingen dann durch oder deshalb auch dort in diesem Bereich so stark durch, weil wir halt immer wieder mit projekt­för­migen Struk­turen arbeiten. Das heißt, mit befris­teten Projekten soll irgendwas gemacht werden und dann enden diese Projekte halt auch wieder, und dann gibt es halt, wenn es gut läuft, ein neues Projekt, wenn es wieder ein neues Förder­pro­gramm gibt oder das alte Förder­pro­grammen immer noch existiert. Wenn wir dann aber wieder in Situa­tionen kommen. Und da kommen wir zunehmend natürlich rein mit kommu­nalen Haushalten, die Bundes­länder müssen sparen, der Bund ist nicht bereit, sozusagen auch bestimmte Programme vorzu­führen, sind das natürlich Dinge, die dann auch schnell, relativ schnell wegbrechen. Und das ist so ein bisschen wieder die Sorge, die ich habe, dass wir in diesen projekt­för­migen Struk­turen ist uns eben nicht gelingt, das zu insti­tu­tio­na­li­sieren. Das müsste eigentlich die große Aufgabe sein, zu sagen, wir haben jetzt hier bei diesen Projekten festge­stellt, dass bestimmte Dinge richtig gut funktio­nieren. Dann lasst uns die doch insti­tu­tio­na­li­sieren und dieser Schritt gelingt mir noch zu selten.

Alina Büyükdag: Vielen dank erstmal für die aufschluss­reiche Antwort dazu. Ich habe so ein bisschen versucht mal mitzu­schreiben, sind ja jetzt einige wichtige Punkte gefallen. Ich habe da so ein bisschen auch Bedürfnis- und Bedarfs­ge­rech­tigkeit notiert, wenn sie erzählen, die Segre­gation ist relativ stark, Trennung in den Milieus. Da sprechen wir viel von Hetero­ge­nität, da sehen wir auch bei unserer Zielgruppe. Wir haben die Gemein­samkeit der Arbeits­lo­sigkeit, aber darüber hinaus, das Alter, gesund­heit­liche Probleme, Vorer­kran­kungen et cetera, Migra­ti­ons­hin­ter­gründe eventuell. Da unter­scheidet sich einfach die Zielgruppe ganz stark und da ist dann eben diese zielgrup­pen­spe­zi­fi­schen Angebote sehr wichtig, was wir in den Quartieren, aber, wie sie sagen, durch viele Projekte, Programme mittler­weile so ein bisschen aufge­fangen haben, was man aber noch verstärken kann in den Lebens­welten. Genau da haben wir auch von unserem Programm aus Team für Gesundheit und Arbeit sehr gute Erfah­rungen mit gemacht, dass man da wirklich erst mal, wie sie sagen, zunächst erst mal wieder erwerbs­fähig wird, das heißt, erst mal was für die eigene Gesundheit tut und dann versucht, im nächsten Schritt eine Wieder­ein­glie­derung in die Arbeit, dass man das quasi wirklich Schritt für Schritt macht, nicht diesen Druck, wir müssen direkt wieder in die Arbeit finden, weil genau das ist wahrscheinlich auch der Punkt, wo es dann, ja, mit der psychi­schen Gesundheit oder ähnliches, dieser starke Druck einfach von oben mit chroni­schen Erkran­kungen, die noch gar nicht bearbeitet sind oder wegfallen, dass man wieder in die Arbeit finden kann. Das Problem ansonsten, genau wie sie sagen, Verhält­nis­prä­vention ist auch nochmal ein großer Punkt, gerade wie sie gesagt haben mit den Hitze­kam­pagnen. Wir wissen, was das Problem ist. Verhal­tens­prä­vention ist teilweise auch schon ganz gut ausgebaut. Aber wie schaffen wir denn Verhält­nisse? Und Begrünung, Sanierung, Entsieglung? Das sind quasi Prozesse, die Jahrzehnte lang andauern werden. Aber ich denke, mit Programmen und Rehapro-Projekten geht es schon mal in die richtige Richtung. Haben sie denn noch ganz konkret für unsere Hörer und Hörerinnen, die Multi­pli­ka­toren in der Arbeits­för­derung sind Best-practice Methoden oder Möglich­keiten, was sie konkret tun können oder auch Akteure in der Gesund­heits­för­derung? Noch ganz konkret, wenn wir jetzt wirklich nochmal eine Ebene auf der opera­tiven Ebene runtergehen. 

Dr. René Böhme: Ja, ich glaube, da haben sie gerade auch hier schon zusam­men­ge­fasst. Also, es ist einfach ganz wichtig, dass wir immer wieder auch in der Kommu­ni­kation nach außen dieses Verhält­nis­prä­ven­ti­ons­ansatz betonen, auch gerade wenn wir mit lokaler Politik, mit Bundes­po­litik, mit Landes­po­litik sprechen. Wir merken ja, wie wir in so einem perma­nenten Deutungs­kampf sind in dieser Frage, beim Thema Langzeit­ar­beits­lo­sigkeit. Und wenn man die Einlas­sungen eines Carsten Linnemann regel­mäßig hört, dann schaudert es einen, wenn man sozusagen die Befürchtung haben muss, dass dieser Mann irgendwann in politische Verant­wortung kommt, sozusagen auf der Bundes­ebene, weil er sollte sich diesen Podcast in jedem Fall anhören, weil er sozusagen die Ursachen von Langzeit­ar­beits­lo­sigkeit leider überhaupt nicht verstanden hat und er glaubt, mit mehr Druck kommen wir zu positiven Ergeb­nissen. Aber die Forschung sagt klipp und klar, nein, das werden wir nicht schaffen. Also, mehr Druck ist der falsche Weg. Das ist sozusagen das, was uns die Agenda gezeigt hat, die Agendareform, dass es mehr Druck nicht bringt. Wir haben viele Menschen, die im SGB II sind, die sind seit 2005 im SGB II, und jetzt haben wir praktisch eine kleinere Verän­derung in den letzten Jahren dadurch, dass mehr Zuwan­derung auch gekommen ist und damit natürlich bestimmte zusätz­liche Heraus­for­de­rungen bestehen. Und da wissen wir aber auch aus verschie­denen anderen Studien, dass Geflüchtete ihre Zeit brauchen, bis sie in den Arbeits­markt kommen. Das war in den 90er-Jahren bei Geflüch­teten aus Jugoslawien nicht anders. Da hatten wir auch gut 15 Jahre hat es gedauert, bis die die gleiche Erwerbs­quote hatten wie andere Zuwan­de­rer­gruppen. Da sind wir bislang glück­li­cher­weise sogar auf einem deutlich höheren Pfad, wenn man sozusagen die prozen­tuale Entwicklung der Erwerbs­quote der Geflüch­teten, der 2005, 2015, 16, 17 sieht, da bewegen wir uns auf einem höheren Niveau. Der öffent­liche Diskurs tut aber so, als sei sozusagen alles ganz, ganz schrecklich, insbe­sondere sozusagen aus der aus der konser­va­tiven Ecke her. Und da müssen wir uns, glaube ich, einfach in der Kommu­ni­kation immer noch mal wieder und sozusagen die Sinne schärfen, dieses Thema Verhält­nis­prä­vention immer wieder zu betonen, zu sagen, was sind die Ursachen, und wie müssen wir ansetzen, nämlich wie sie es gesagt haben, Belas­tungen reduzieren, Ressourcen aufbauen dann sozusagen den Weg, Quali­fi­zierung und dann in den Arbeits­markt, und das braucht eben Zeit, und viele Maßnahmen sind eben häufig zu kurz und ignorieren einfach die Rahmen­be­din­gungen vor Ort. Also, da habe ich jetzt gerade auch im Rahmen einer Evaluation hier in Bremen, habe ich mir so verschiedene Projekte auch für Allein­er­zie­hende angeschaut, die langzeit­ar­beitslos sind, und wenn die dann ein Coaching von sechs bis zwölf Monaten bekommen, aber so viele Problem­lagen in diesen sechs bis zwölf Monaten, da soll ein Kita Platz gefunden werden, was sozusagen schon heute ein riesiges Problem ist, weil wir massen­weise sozusagen fehlende Kitaplätze haben. Da muss die gesund­heit­liche Situation verbessert werden. Da sollen Sprach­kurse gemacht werden, wo wir Warte­zeiten, gerade auch bei den Integra­ti­ons­kursen, teilweise Warte­zeiten von sechs bis zwölf Monaten haben. Wenn wir einen Integra­ti­onskurs mit Kinder­be­treuung sozusagen suchen, ist es fast ganz aussichtslos. Von daher brauchen sie eigentlich erst den Kitaplatz, dann den Integra­ti­onskurs und brauchen dann irgendwie auch noch eine Verbes­serung ihrer gesund­heit­lichen Lage. Das sind Prozesse, die man eben gut und gerne zwei, drei Jahre brauchen, bis sie dann mit einer Quali­fi­zierung beginnen können. Weil, wenn sie die Leute vorher in die Quali­fi­zierung reinbringen, dann ist die Wahrschein­lichkeit relativ hoch, dass die Quali­fi­zierung eben nicht erfolg­reich beendet wird, sondern wir müssen eben erst die Menschen stabi­li­sieren, um sie dann in die Quali­fi­zierung reinzu­geben und diese Zeit den Menschen zu geben. Das ist, glaube ich, das, was wir auch immer noch mal wieder kommu­ni­zieren müssen, dass es eben einfach diese Zeit braucht. Und was jetzt so positive, konkrete positive Beispiele betrifft, sehe ich zum einen wirklich nochmal, wenn wir auf dieser Primär-Präven­ti­ons­ebene das ist wie gesagt, eine andere Ebene, nämlich zu verhindern, dass ich eben soziale Benach­tei­ligung im Elternhaus auch eben auf die Kinder durch­schlägt. Da sind für mich wirklich die öffent­lichen Gesund­heits­dienste ganz stark, mit diesem präven­ti­ons­ketten Ansatz wirklich von Geburt an auch Kinder mit Angeboten zu erreichen. Da gibt es, wie gesagt, mittler­weile ganz, ganz tolle Angebote, die ich finde, beispiels­weise hier in Bremen unter diesem Stichwort Tipptapp und Tipptapp-Prä, wo man wirklich mit Hausbe­suchs­pro­grammen operiert, Familien eben kurz nach der Geburt, nach sechs Monaten, nach zwölf Monaten zu Hause aufsucht und mittler­weile eben das ganze wieder erweitert hat, weil man festge­stellt hat, es gibt eben bestimmte Milieus, die wollen diesen Besuch zu Hause nicht. Dann versucht man eben auch wieder, in den Geburts­kli­niken Kontakt mit den Familien aufzu­nehmen oder auch öffent­liche Stellen im Stadtteil zu schaffen, wo man diesen Kontakt mit Familien herstellen kann, beispiels­weise irgendwo in der Nähe des des lokalen Super­marktes, da ein Büro zu haben, wo man, wenn man die Familie ein, sozusagen zu Hause nicht reinlässt, aber trotzdem sagen kann, Mensch, wenn sie eine Frage haben, kommen sie doch bei uns, wenn sie das nächste Mal beim Super­markt sind, kommen sie doch bei uns einfach mal um die Ecke vorbei. Also da wirklich wieder die Menschen auch stärker anzusprechen, wie gesagt, das Stichwort Gesund­heits­fach­kräfte in den Kitas, in den Schulen, ich sehe viel auch mittler­weile wieder so peer to peer Elemente, die ich wichtig finde. Stichwort, wie Stadt­tei­leltern, was sie zur Programme sind in dem Bereich, wo sozusagen eine Kommu­ni­kation von Eltern zu Eltern. Aber das gleiche gibt es auch im Bereich von Langzeit­ar­beits­lo­sigkeit, also das Langzeit­ar­beitslose irgendwie auch andere Langzeit­ar­beitslose so ein Stückchen coachen, mitnehmen, also wirklich diesen Austausch unter­ein­ander befördern. Das finde ich ganz, ganz wichtige, wichtige Ansätze, weil sie diesen diesen Parti­zi­pa­ti­ons­ge­danken eben auch so so stark mittragen. Das ist, glaube ich, nochmal ganz, ganz wichtig. Und dann, was so die Infra­struktur in den Quartieren betrifft, glaube ich, brauchen wir irgendwie Ansätze, wie wir auf diese defizitäre gesund­heit­liche Versorgung in den benach­tei­ligten Quartieren reagieren. Und da finde ich den den Prozess, das heißt sozusagen lokales integriertes Gesund­heits­zentrum hier in Bremen, Gröpe­lingen, finde ich einen ganz spannenden Prozess, weil er eben eine Reaktion darauf ist, dass wir seit vielen Jahren in diesem Stadtteil eine schlechte gesund­heit­liche Versorgung beklagen. Gleich­zeitig, weiß ich noch, hatten wir damals auch, als wir 2015 hier die Armuts­kon­ferenz zu dem Thema hatten, auch versucht, irgendwie kassen­ärzt­liche Verei­nigung für das Thema zu sensi­bi­li­sieren, politische Mandats­träger dafür zu sensi­bi­li­sieren, sind da aber einfach auf Granit Gebissen. Also, da sind wir keinen Schritt voran­ge­kommen, und die, die aber ordnet, mit denen wir gesprochen haben, haben uns auch versi­chert, wir probieren da schon seit vielen Jahren auch irgendwie auf die KV Einfluss zu nehmen. Die möchte aber eben ungern diese Ärzte­sitze klein­räu­miger steuern, sondern eben nur auf der gesamt­städ­ti­schen Ebene. Und dann ist, finde ich, so ein Prozess zu sagen, dann gehe ich eben auch als Staat da in die Verant­wortung und schaffe eben solche lokalen Gesund­heits­zentren, wo wir eben so eine Art Bündelung auch hinbe­kommen von Beratungen, die auch gar nicht erst mal unbedingt zu diesem Gesund­heits­thema sein muss, sondern eben erst mal zu ganz anderen Themen auch eine Beratung sein kann, also erst mal nur eine Beratung beispiels­weise zum Thema Antrags­ver­fahren SGB II, ich habe meinen zwei Bescheid nicht verstanden oder ähnliches, und dann merke ich, in der Beratung sind aber auch noch andere Problem­lagen im Hinter­grund. Und dann kann ich gleich verweisen auf eine Kollegin, die im selben Gebäude sitzt, die sich auch noch mal sozusagen das aus einer anderen Perspektive anschaut. Also das finde ich das ganz spannend, da wirklich so verschiedene Beratungs­an­sätze zu bündeln und dann eben das mit diesem Gesund­heits­thema zu verknüpfen. Und ich glaube, in diese Richtung müssen wir gehen, mehr solcher niedrig­schwel­ligen Orte auch in den Benach­tei­ligten Quartieren zu haben, die Angebote zum Thema Gesund­heits­för­derung haben, wo das aber nicht praktisch gleich außen dran steht. Das ist jetzt sozusagen der Ort, wo ich hingehe, wenn ich gesund­heit­liche Problem­lagen habe, sondern das muss niedrig­schwel­liger erfolgen. Der Zugang muss niedrig­schwel­liger erfolgen, und wenn ich den Zugang dann einmal gefunden habe zu den Menschen, dann kann ich im zweiten und dritten Schritt auch irgendwie das Thema Gesund­heits­för­derung letzt­endlich dort dann mit einbauen.

Alina Büyükdag: Bei dem Peer Ansatz wollte ich noch so ein bisschen ansetzen. Wir haben das nämlich jetzt auch bei uns integriert im Programm, dass wir eine Art Losen­konzept haben, und genauso, wie sie es gesagt haben, langzeit­ar­beitslose Menschen können langzeit­ar­beits­losen Menschen eben helfen und unter­stützen im Bereich der Gesundheit, und das ist auch nochmal ein ganz wichtiger Aspekt. Auch in den Quartieren sind wir unterwegs, einfach in vorhan­denen Beratungs­stellen zum Beispiel oder Kontakt­stellen, Bildungs­trägern, dass wir da sehr niedrig­schwellig auch ins Quartier direkt kommen, in die Lebens­welten direkt kommen, was ich sonst auch noch mitge­schrieben habe. Auf politi­scher Ebene sind wir ja auf sie und was sie auch tun, so ein bisschen angewiesen. Als Sozial­wis­sen­schaftler die Kommu­ni­kation, Trans­parenz, Infor­mation, die Presse­arbeit, die sie tun, das ist schon mal ein sehr wichtiger Aspekt, damit wir da auch mehr in Richtung Verhält­nis­prä­vention vielleicht kommen auf opera­tiven Ebene bei den Multi­pli­ka­toren, wie sie sagen, einfach diese, dieses sensibel sein bei den Menschen, diese Stabi­li­sierung nicht nur auf gesund­heit­licher Ebene, sondern wirklich abholen, was für Bedarfe gibt es denn eigentlich und Bedürf­nisse bei den Menschen selbst und den nächsten Schritt dann zu sehen, okay, was haben wir denn für Projekte? Sie haben einiges genannt, für allein­er­zie­hende Menschen, für Menschen mit kleinen Kindern zum Beispiel wir als Programm zur Gesund­heits­för­derung für arbeitslose, langzeit­ar­beitslose Menschen. Genau das ist auch noch mal zur Zusam­men­fassung für unsere Multi­pli­ka­to­rinnen und Akteure. Da hat man ja direkt Lust, eigentlich schon los zu starten und was zu tun. Aber es ist einfach ein Prozess, aber auf jeden Fall ziemlich spannend, was ich jetzt auch noch für Infor­ma­tionen hier mitge­nommen habe. Als letzte Frage würde ich einfach nochmal so ein bisschen dahin­gehen: Gibt es noch Ergän­zungen oder Dinge, die jetzt im Gespräch aufge­kommen sind, die sie gerne noch ansprechen würden?

Dr. René Böhme: Ja, vielleicht als aller­letzten Punkt, weil das natürlich immer mal wieder die Frage auch kommt, der der Wirkungs­kon­trolle. Das ist in diesem Bereich natürlich wirklich extrem schwierig, weil immer mal die Frage auch aufkommt, wie kann man denn sozusagen Effekte auch nachweisen, und das ist in dem Bereich tatsächlich sehr kompli­ziert, weil wir natürlich, im Bereich Gesundheit ist es eben multik­ausal. Da wirken eben ganz viele Dinge aus unter­schied­lichen Richtungen ein und wir begleiten die Menschen ja häufig in so Projekten ja immer nur einen relativ kurzen Zeitraum und da gibt es praktisch tatsächlich aus meiner Sicht noch Forschungs­bedarf. Wie gesagt, im Bereich der Primär­prä­vention, da gibt es gerade ein Forschungs­projekt, wo man tatsächlich mal versucht, hier im deutsch­spra­chigen Raum das zu unter­suchen, macht es einen Unter­schied, wenn ich Familien mit ihren Kindern von Geburt an entspre­chend mit Angeboten unter­stütze und das wirklich lückenlos gestalte oder im Vergleich zu Familien, denen ich das selbst überlassen. Da hat man praktisch mit einer Kontroll­gruppe und Unter­su­chungs­gruppe gearbeitet, sogenannte Briese Projekt, und im Bereich Gesund­heits­för­derung würde ich mir das manchmal noch ein bisschen wünschen, dass wir auch da nochmal wirklich auch mehr in den Langzeit­un­ter­su­chungen haben, um da einfach auch diesen Vorur­teilen bisschen was entge­gen­setzen zu können und zu sagen: Mensch, wir haben das jetzt wirklich mal nachge­wiesen, dass, wenn wir über einen längeren Zeitraum dieses Thema Gesund­heits­för­derung wirklich substan­ziell unter­stützen und da eben rausgehen aus dieser klassi­schen Schiene mit Druck und wenig Zeit und schnell in irgendeine Maßnahme, schnell in irgendeine Arbeits­ge­le­genheit, dass ich das wirklich auch langfristig besser auswirkt. Da würde ich mir gerne auch als Sozial­wis­sen­schaftler eben wünschen, dass man da noch ein bisschen mehr Futter hat, um dann wirklich auch argumen­tieren zu können. 

Alina Büyükdag: So kann man eben auch passgenau Gesund­heits­för­de­rungs­an­gebote platzieren. Das ist ja genau auch die Frage: Ursache- Wirkungs­prinzip. Hat die Arbeits­lo­sigkeit mich krank gemacht, oder hat meine Krankheit mich arbeitslos gemacht? Und da, da wirken laut Studien beide Prozesse ja gleicher­maßen, und da bin ich echt gespannt, was bei der Studie dann rauskommen würde bei dem Projekt. Genau das kann man halt auf viele Ebenen noch weiter ausbreiten. Diese Form von Forschung, super, viele Infor­ma­tionen! Ich danke Ihnen sehr für ihre Zeit und den Podcast. 

Dr. René Böhme: Gerne.

Alina Büyükdag: Und wünsche Ihnen hiermit noch einen ganz schönen Tag und hoffentlich auf Wieder­sehen, auf Wiederhören!

Dr. René Böhme: Ja, Tschüss. 

Alina Büyükdag: Tschüss!

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