Gesundheitliche Ungleichheit — Experteninterview
Experteninterview mit Sozialwissenschaftler Herrn Dr. Böhme
14.10.2024
Das Experteninterview deckt auf: Herr Dr. Böhme, Sozialwissenschaftler an der Uni Bremen erläutert aus sozialwissenschaftlicher Perspektive die Entwicklung von sozialen Schichten. Außerdem wird erwähnt, wie die soziale Lage mit der gesundheitlichen Lage zusammenhängt und welche Auswirkungen insbesondere die gesundheitliche Ungleichheit auf das Leben von langzeitarbeitslosen Menschen hat. Es werden aktuelle Themen der Arbeits- und Gesundheitspolitik besprochen und mögliche Best-practice-Methoden gesammelt. Reinhören lohnt sich!
Alina Büyükdag: Guten morgen heute zu einer neuen Podcast folge, heute ein Experteninterview mit Herrn Dr. Böhme, Sozialwissenschaftler an der Uni Bremen, heute zum Thema gesundheitliche Ungleichheit, und wir sammeln so ein bisschen Best-practice-Methoden, um auch die gesundheitliche Lage von arbeitslosen Menschen zu besprechen und Handlungsempfehlungen mit unserem Experten durchzugehen. Ich würde Herrn Dr. Böhme auch einfach mal bitten, sich kurz zu Wort zu melden, vielleicht sich einmal ganz kurz vorzustellen.
Dr. René Böhme: Ja, einen wunderschönen guten Morgen! Mein Name ist René Böhme, bin, wie gesagt, schon wie vorgestellt worden, Sozialwissenschaftler am Institut Arbeit und Wirtschaft der Universität Bremen, beschäftige mich seit 2011 mit Fragen sozialer Ungleichheit, kommunaler Armutsprävention und habe hier in Bremen auch die Bremer Armutskonferenz mitgegründet, und da ist praktisch durch das Thema 2015 haben wir das Thema Armut und Gesundheit gesetzt, durch die Bremer Armutskonferenz, und seitdem beschäftige ich mich auch mit den Fragen kommunaler Gesundheitsförderung.
Alina Büyükdag: Also, sie passen da, glaube ich, sehr gut bei uns rein auf jeden Fall. Wir arbeiten viel mit arbeitslosen Menschen im sozialen Kontext zur kommunalen Gesundheitsförderung. Also bin ich total froh, dass wir heute den Podcast aufnehmen dürfen mit ihnen, und würde auch schon ziemlich schnell in den Inhalt starten, was mich auch direkt persönlich interessiert und bestimmt auch unsere Hörer und Hörerinnen. Zur ersten Frage, die ich ihnen gerne stellen würde, welche sozialen Schichten werden denn momentan unterschieden, und wie sind insbesondere langzeitarbeitslose Menschen dort einzuordnen?
Dr. René Böhme: Ja, da würde ich anmerken, dass der Schichtbegriff in den Sozialwissenschaften heutzutage eigentlich eher nur noch selten verwendet wird. Der ist vor allen Dingen so in den 60 er/70 er Jahren entstanden zur Beschreibung eben auch von gesellschaftlichen Verhältnissen, und da ist man eben davon ausgegangen, dass gesellschaftliche Gruppen relativ stark voneinander abgeschichtet sind und es eben da eine relativ klare Trennung gibt. Und da ist praktisch dieser Schichtbegriff entstanden. Dann im Laufe der 80, 90, 2000 Jahre, hat man so festgestellt, ja, es gibt eigentlich stärker auch eine Durchmischung in der Gesellschaft, es gibt mehr soziale Aufstiege, auch praktisch später in den 70 er/80 er Jahren, und dann ist praktisch aus dem französischen Raum eher dieser Milieubegriff in die Beschreibung gesellschaftlicher Verhältnisse hier in Deutschland hineingekommen. Und da unterscheidet man häufig nach sozialer Lage einerseits und Orientierungen und Werten andererseits. Ein typisches Beispiel sind die sogenannten Sinusmilieus, wo man dann verschiedene Milieugruppen unterscheidet und wenn man mal in diese Sinusmilieus reinschaut, ist es eine Gruppe, die dort beschrieben wird, das ist ein sogenanntes prekäres Milieu, und da würde ich dann auch die Gruppe der der langzeitarbeitslosen Menschen einordnen. In der Forschung ist es allerdings häufig schwierig. Da haben sie gar nicht so viele differenzierte Daten über die Menschen, die sie praktisch beforschen, um dann wirklich zu sagen, wie sind denn deren Orientierungen und Werte und die soziale Lage, um wirklich in so einer zwei Pensionen Systematik die Menschen einzuordnen? Deswegen wird es in den Studien, die es zum Thema soziale Lage und Gesundheit gibt, häufig ein bisschen vereinfachter gemacht. Dann taucht dann der Begriff sozialer Status auf oder sozioökonomischer Status. Das sind so zwei Begriffe, die da häufig sich wiederfinden lassen. Und dann gibt es die Unterscheidung in der Regel drei Kategorien: hoch, mittel und niedrig. Sie hört sich dann erstmal relativ abstrakt an: hoher sozialer Status, mittlerer sozialer Status oder niedriger sozialer Status. Was verbirgt sich dahinter? Verbirgt sich eben in der Regel dahinter ne Differenzierung ein Stück weit nach Einkommen und Bildung, und Menschen eben mit niedrigem Einkommen und eher geringeren Bildungsabschlüssen gehören dann eben in eine Gruppe mit einem niedrigen sozioökonomischen oder eben sozialen Status, und umgedreht einkommensstarke Gruppen, hohe Bildungs- und berufliche Qualifizierungsabschlüsse kennzeichnen Menschen mit einem hohen sozialen oder sozioökonomischen Status.
Alina Büyükdag: Okay, vielen dank, da fasse ich schon mal zusammen: Schicht wird momentan oder mittlerweile nicht mehr benutzt, der Begriff, sondern eher Milieu oder besonders auch Status, und langzeitarbeitslose Menschen sind eher im niedrigen sozialen Status einzuordnen.
Dr. René Böhme: Genau, was man so ein bisschen mit Sorge sehen muss, dass wir in den letzten sozusagen zehn Jahren, 15 Jahren wieder zu dieser Beobachtung kommen, dass die gesellschaftliche Durchmischung wieder eher ein Stück weit zurückgeht, dass wir eher über Verfestigung von Armut, diskutieren auch Verfestigung von sozialen Benachteiligung und damit eigentlich wieder so ein Stück weit zurückgehen zu einer sehr stark verschichteten Gesellschaft. Da muss man sozusagen beobachten, ob das dann auch dazu führt, dass dieser Begriff eine Renaissance erlebt. Es ist zumindest aber so, dass die Beobachtungen, die wir als Sozialwissenschaftler, Sozialwissenschaftlerin machen, dahingehend, dass eben wieder auch stärker die die gesellschaftlichen Gruppen sich voneinander abtrennen und da eben nicht mehr so eine starke Durchmischung zustande kommt.
Alina Büyükdag: Vielen dank. Wir haben dann schon mal ein Stück weit die langzeitarbeitslosen Menschen ein wenig einordnen können, was die soziale Lage angeht. Wie sieht es denn da bei der Entwicklung der gesundheitlichen Lage aus, konkret von arbeitslosen Managen? Können sie da im Zusammenhang soziale und gesundheitliche Lage etwas mitteilen?
Dr. René Böhme: Ja, da gibt es praktisch schon eine sehr lange Forschungstradition zum Thema Wechselwirkung von Arbeitslosigkeit und Gesundheit und da hat es schon in den siebziger und 80er-Jahren Studien gegeben, die relativ deutlich das Ergebnis hervorgebracht haben, das langanhaltende Arbeitslosigkeit eben negative psychische Effekte hat, wie beispielsweise eine erhöhte Depressivität oder erhöhte psychosomatische Beschwerden, psychiatrische Probleme oder auch Alkoholismus, ist damals beschrieben worden. Und dann setzt sich das so ein bisschen fort, dass wir eigentlich seit den 80 er, 90 er Jahren dann immer wieder Studien haben, die auch im Langzeitvergleich dann eben sich angeschaut haben, wie wirkt sich eben auch Arbeitslosigkeit im Verlag auf, oder wie verändert sich die gesundheitliche Lage im Verlauf der Arbeitslosigkeit. Und die sind eigentlich alle bitter zu denselben Ergebnissen gekommen, dass das Arbeitslosigkeit eben zu schlechterer psychischer Gesundheit und geringere Eigeninitiative führt, dass es zu Resignation, Rückzug, verminderten Selbstwertgefühl, vermehrter Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen, Familien-/Partnerschaftskonflikten, soziale Isolation, Schlafstörungen, depressive Störungen, Angsterkrankungen und Suchtmittelkonsum sozusagen als Folgen hier beschrieben werden. Und mittlerweile, wenn man jetzt in die 2010 er Jahre reinschaut, gibt es eigentlich Studien, die relativ klipp und klar sagen, wir haben sehr deutliche empirische Hinweise darauf, dass Arbeitslosigkeit eben einen schädigenden Einfluss auf die Gesundheit der Menschen hat.
Alina Büyükdag: Wir als Gesundheitswissenschaftler:innen jetzt gerade in dem Programm für arbeitslose Menschen, haben genau das auch herausgefunden. Gerade auch die Dauer der Arbeitslosigkeit sagt viel aus, geht eben ganz stark auch auf die psychische Gesundheit, die körperliche Gesundheit, soziale Kontakte. Und genau gibt es ganz viele Studien zu, die das genau belegen. Wie wirkt sich denn die gesundheitliche Ungleichheit, wenn wir das jetzt so begrifflich zusammenfassen können, auf das Leben von Betroffenen aus, gerade was das Gesundheitsverhalten, vielleicht auch die Lebenserwartung angeht? Sie haben ja jetzt schon eine Reihe von Folgen, auch Symptome teilweise genau aufgelistet. Können sie vielleicht konkret zu den beiden Punkten noch etwas sagen?
Dr. René Böhme: Ja, ich würde noch mal auf einer Ebene darüber beginnen, auf auf einer Meso-Ebene, die Frage aufwerfen, wie kommen wir überhaupt zu dieser gesundheitlichen Ungleichheit? Was sind sozusagen die Facetten da ist, wie gesagt, das Gesundheitsverhalten ist das eine, auch gesundheitliche Versorgung ist das andere. Da komme ich gleich noch mal dazu. Ich würde aber erst mal noch mal einsteigen mit eben Unterschieden in den gesundheitlichen Belastungen, dass wir da sehr deutliche Unterschiede haben zwischen eben Menschen mit niedrigem sozialen Status und hohem sozialen Status beispielsweise. Wenn wir das jetzt mal auf Menschen in Arbeitslosigkeit fokussieren, ist häufig dieser Punkt der Armut ein recht starker Aspekt, der sich auf die gesundheitliche Lage auswirkt. Also Armut, das zeigen verschiedene Studien, ist ein Stressmoment. Die Menschen haben Sorge, wie sie auch den Monat sozusagen mit den finanziellen Ressourcen bestreiten sollen. Es gibt gibt Sorge auch über die Situation, dann der, wenn wir an Familien denken, wie kann man sozusagen für die eigenen Kinder da sein? Kann man den Kindern das bieten, was man ihnen gerne bieten möchte? Menschen wohnen häufig, wenn sie arbeitslos, langzeitarbeitslos sind, in schwierigeren Wohnumgebungen, die sich eben beispielsweise durch einen höheren Lärmpegel auszeichnen. Es gibt viele Studien, die aufzeigen, dass der Wohnraum von Menschen in Armut und eben dann auch von Arbeitslosen sich häufig oder Wohnraummängel, zum Beispiel Feuchtigkeitsschäden, Schimmel, undichte Fenster oder ähnliches auszeichnet, und dann eben auch die größere Distanz zu Grünanlagen, die in den Wohnen-Rahmenbedingungen gegeben sind. Also das ist das eine, und das andere ist, dass wir auch noch einen Unterschied auch in den Bewältigungsressourcen haben, also dass Menschen durch auch ihre häufig segregierte Lage gar nicht den Kontakt haben zu Menschen, die ihnen da auch vielleicht ein positives Vorbild sein könnten, die ihnen auch mal Hinweise, entsprechende Tipps geben könnten, wie man da vielleicht auch Dinge anders gestalten kann, und dass sich eben auch die Netzwerke dann sehr deutlich unterscheiden und eben einfach auch bestimmte Informationen fehlen, die man benötigt, um in diesem ganzen Gesundheitssystem sich irgendwie zurechtzufinden. Und dann als dritter Punkt, diese Unterschiede in der gesundheitlichen Versorgung, die ich schon angesprochen habe, die haben auch viel mit der Segregation zu tun. Gerade wenn wir jetzt an den großstädtischen Raum denken, stellen wir in unseren Studien fest, dass sich die medizinische Versorgung in sozial benachteiligten Quartieren sehr deutlich unterscheidet von der medizinischen Versorgung in eher sozial privilegierteren Quartieren. Das heißt, sie haben die Fachärzte gar nicht vor Ort. Sie haben häufig dann keine passenden Hausärzte mehr, die Kinderärzte-Situation. Die müssen deutlich, viel, deutlich, viel mehr Kinder behandeln als in anderen Quartieren, und das führt eben auch dazu, dass dann eben bestimmte Vorsorgeuntersuchungen gar nicht in Anspruch genommen werden. Weil dann hatten wir bei unseren Armutskonferenz, da hatten wir eine Hausärztin aus einem benachteiligten Quartier hier in Bremen. Die hat sehr deutlich gesagt, ich habe in unserem Stadtteil die höchste Inzidenz von bestimmten Krebserkrankungen. Ich hab aber gar nicht die Fachärzte, ich habe eine riesige Lungenkrebsinzidenz, ich habe sozusagen eine hohe Darmkrebs- Verdachtsmomente. Ich kann den Menschen aber nicht sagen, hier bei ihnen vor Ort im Quartier gibt es die entsprechenden Fachärzte, sondern sie müssten eigentlich in einen anderen Stadtteil fahren. Dann sind wir wieder bei der Frage, machen die Menschen das haben sie die finanziellen Ressourcen, um auch die Fahrtkosten bestreiten zu können? Haben sie irgendwie die Betreuung der Kinder sichergestellt, dass sie dann da irgendwie möglicherweise auch ohne die Kinder hinfahren können? Dann sind wir auch wieder bei dieser Frage Stichwort Alleinerziehende, die ja auch in der Gruppe der Arbeitslosen, langzeitarbeitslosen Menschen eine wichtige Rolle einnehmen. Wie sollen die sowas bestreiten bei der Frage der sprachlichen Hürden, das sich gerade auch viele, immer mehr Zugewanderte in der Gruppe der Arbeitslosen und Langzeitarbeitslosen befinden. Das heißt, auf dieser Mes-Ebene haben wir eine ganze Reihe von Punkten, die sich eben für arbeitslose Menschen negativ auswirken, und dann haben sie schon angesprochen das Stichwort Gesundheitsverhalten. Das ist mir aber wichtig, dass wir das immer erst an der, an der letzten Stelle nennen, weil es wird häufig in der öffentlichen Diskussion wird das immer rausgegriffen. Das merke ich auch, wenn ich so Presseinterviews hier im Raum in den letzten Jahren gegeben habe, wollen Journalisten immer gerne am liebsten nur über das Gesundheitsverhalten sprechen, und ich sage aber nein, wir müssen erst mal über die anderen Dinge sprechen, die ich gerade gesprochen habe, weil das Gesundheitsverhalten ist häufig das Ergebnis dieser Dinge, dass ich sozusagen mehr Stress in meinem Alltag habe, dass ich mehr Belastungen in meinem Alltag habe, dass ich eben nicht diese Ressourcen in meinem Umfeld habe, in meinem familiären Kontext habe, um mit diesen Belastungen auch anders umzugehen. Deswegen sehen wir dann eben einen überdurchschnittlichen Substanzgebrauch, also insbesondere, was das Rauchen, was den Tabakkonsum betrifft. Wir sehen ein unterdurchschnittliches Bewegungsverhalten, also weniger Bewegung im Alltag. Wir sehen eher ungesunde Ernährung, die eben stärker auf Fleisch, Fleischerzeugnisse, Wurstwaren, Süßwaren, Snacks, Limonaden und eben generell stärker auch zuckerhaltiges, kohlenhydratreiches Essen zurückgreifen und eben selten auf frisches Obst, Gemüse, Pilze, Hülsenfrüchte oder ähnliches verzehren. Und wir sehen eben, was ich schon angedeutet hatte, diese geringere Inanspruchnahme auch von Vorsorgeuntersuchungen beim Thema Gesundheitsverhalten.
Alina Büyükdag: Wir in den Gesundheitswissenschaften würden das ganz klassisch, so wie sie es gerade erklärt haben, so definieren.: Wir haben die Verhältnisprävention, dass das, was sie angesprochen haben, also wie sieht die Umgebung, der Wohnraum aus, auch soziale Kontakte, Hilfe, Unterstützung, Fachärztemangel. Ja auf jeden Fall auch die gesundheitliche Versorgung. Und wie kann ich mich denn eigentlich gesund verhalten, wenn vor Ort gar nichts an Verhältnissen da ist, das heißt, keine Gesundheitskurse oder ein Park zum Beispiel Stadtgrün/Stadtblau sind wir hier dann auch stark drin und dementsprechend sie dann auch in den Quartieren, wie sie gesagt haben, wo dann die Belastung etwas höher ist. Wenn wir vom niedrigen sozialen Status sprechen, sieht man das dann eben auch an dem Gesundheitsverhalten, dass das sich dahingehend anpasst, Genau da würde ich dann auch schon darauf eingehen. Wenn wir von Verhältnis und Verhalten sprechen und Quartieren, da interessiert uns die Frage natürlich gerade mit ihnen als Experte. Welche Erfahrung haben sie denn schon in der kommunalen Gesundheitsförderung im Quartier gemacht zur Bekämpfung genau dieser gesundheitlichen Ungleichheit, dass wir die Verhältnisse vielleicht auch schaffen könnten, also wie sehen da best practice Kriterien aus.
Dr. René Böhme: Mhm, ja muss zum einen erstmal zum Ergebnis kommen, dass die Rahmenbedingungen für eben lokale Gesundheitsförderungen, die sind eben viele Orts, relativ schlecht. Also das hat sich sozusagen auch in den letzten Jahren eher verschlechtert. Diese Rahmenbedingungen, wir haben es praktisch seit den Neunzigerjahren mit einem Anstieg von Segregation zu tun, soziale Segregation vor allen Dingen, ethnische Segregation, gar nicht so stark mehr, sondern da gibt es auch durchaus Trends, dass die ein bisschen zurückgeht. Aber eben soziale Segregation ist sehr stark, und neuere Studien unterscheiden auch nochmal das Thema Bildungssegregation. Auch das ist ein riesiges Problem. Auch Armutssegregation wird mittlerweile unterschieden, und diese drei Punkte Bildungsarmut und soziale Segregation, die nehmen sehr massiv zu, und die führen eben auch dazu, dass sich eben die Menschen zunehmend in bestimmten Milieus bewegen, wo dann eben die Belastungen besonders hoch sind. Das sind dann sogenannte Nachbarschaftseffekte. Wenn ich gar nicht mehr mitbekomme, dass es eben auch andere Lebensstile gibt, sondern das ist sozusagen dann eben die neue Normalität, die sich in diesem segregierten Umfeld dann darstellt. Dann wirkt sich das erstmal, was die Rahmenbedingungen betrifft, etwas schwieriger aus. Dann haben wir eben seit vielen Jahren mit einem Anstieg von Armutsproblemen zu tun, und wir wissen, Armut wirkt sich ganz massiv auf die gesundheitliche Situation aus und wenn sich eben Armutsprobleme verschärfen, einfach schärfen sich letztendlich auch Gesundheitsprobleme. Wir haben es sehr massiv in den letzten zehn Jahren mit Migrationsphänomenen zu tun, und da haben wir eine Gruppe, die gerade wenn wir an die Geflüchteten denken, ja erst mal ohne Sprachkenntnisse hierher kommen. Die kennen unser Gesundheitssystem eben nicht, die müssen sich da erst mal orientieren, die wissen nicht, was eine Krankenversicherung ist, wie man da auch zu seinen Leistungen kommt. Die kommen mit ganz besonderen Belastungen auch nochmal her. Das Stichwort auch psychische Belastungen, Traumata, und das ganze trifft praktisch noch auf ein Erwerbsförderungssystem, was mit der Agenda 2010 auf das Phänomen Druck gesetzt hat. Ja, wir müssen nur mehr Druck machen, dann kommen die Menschen schon in den Arbeitsmarkt. Das sind sozusagen natürlich extrem ungünstige Rahmenbedingungen, eine Verschärfung von sozialer Ungleichheit, darauf noch mit Druck sozusagen zu reagieren und das noch bei einem Gesundheitssystem, was eher zurückgebaut wurde, was eher auch durch den Personalmangel sehr stark geprägt ist. Wir haben es sozusagen mit einer Schließung von Krankenhäuser in strukturschwachen Regionen zu tun, dass dann die Wege länger sind. Wir haben jetzt immer häufiger mit auch Facharzt und Ärztemangel in vielen Regionen zu tun. Das sind natürlich erst mal sehr ungünstige Rahmenbedingungen, und nichts desto trotz würde ich sagen, kann man schon in den letzten Jahren von einem gewissen Kurswechsel sprechen hin zu der von ihnen schon angesprochenen Verhältnisprävention. Also da würde ich schon ein paar Stellen und Hinweise sehen, dass wir da so ein Umdenken drin haben, zumindest auf der lokalen Ebene. Also, bundesweit kann man schon auch sagen, okay, da ist schon noch viel Verhaltensprävention, wenn man an die ganzen Image, Kampagnen, Werbekampagnen auch der Krankenkassen denken. Das ist noch nicht so richtig unbedingt auf das Thema Verhältnisprävention ausgerichtet. Aber mit dem Präventionsgesetz müssen die Krankenkassen ja auch einen gewissen Anteil pro Versicherten für Prävention ausgeben, und davon hatte vorhin mal reingeguckt, von den 7,52 € pro Versicherten sollen auch 2,15 € direkt in die Lebenswelten fließen. Im Moment, das heißt, da gibt es eine gesetzliche Vorgabe mit dem Präventionsgesetz mittlerweile, dass da auch Dinge in die Quartiere fließen müssen und da sehe ich durchaus auch, dass wir in den letzten Jahren eine ganze Reihe von zusätzlichen Projekten in vielen Stadtquartieren, da, wo ich mich jetzt vor allen Dingen auskenne, in den ländlichen Regionen. Das nochmal so eine Frage, da müsste ich tatsächlich, die kann ich nicht beantworten, wie das in den ländlichen Regionen, ob es dort auch wirklich zu einer Verbesserung dieser Gesundheitsinfrastrukturen gekommen ist. Aber hier, was die, die städtischen Regionen betrifft, haben wir, wie gesagt, mittlerweile eine ganze Reihe von Projekten, die über dieses Präventionsgesetz finanziert werden. Ich sehe, dass wir gerade in den Kitas und Schulen durchaus da jetzt mit SozialpädagogInnen-Programmen. Diese Einrichtung, also sowohl Schulsozialarbeit als auch Kita-Sozialarbeit, ist gerade in den benachteiligten Lagen deutlicher deutlich an Bedeutung gewonnen in den letzten zehn, 15 Jahren, und da spielt natürlich auch das Thema Gesundheitsförderung dann ne Rolle. Da habe ich gerade hier ein Programm auch im Bremen evaluiert. Da kann man das durchaus sagen, dass Familienbildung, Gesundheitsförderung da auch Aufgaben von diesen sozialpädagogischen Fachkräften sind. Es gibt auch immer mehr so Gesundheitsfachkräfte. Das sehe ich hier auch, dass wir dann auch als Ergebnis der Pandemie da jetzt auch so Gesundheitsfachkräfte in den Quartieren haben, auch Gesundheitsfachkräfte in den Schulen, die da versuchen wirklich auch mit den Kindern und Jugendlichen das Thema Gesundheit aufzuarbeiten, die versuchen, Kooperationen zu schließen mit anderen Trägern, um da wirklich dieses Thema Gesundheit in diese Orte im Quartier hineinzuholen. Weil das ist sozusagen der Grundsatz der Verhältnisprävention, ist dann sozusagen dieser genau der Setting-Ansatz, zu sagen, wir müssen an die Lebenswelten an, und da sind Kita, Schule, das, das Jobcenter und eben der Arbeitsplatz, der Stadtteil wären schon so die die wesentlichen Lebenswelten, und da kann man schon sagen, in vielen dieser Lebenswelten hat das Thema Gesundheitsförderung in den letzten Jahren Einzug halten, auch wenn ich mir die Programme der sozialen Stadtteilentwicklung anschaue. Da gibt es ja viele größere Städte, die neben dem soziale Stadt Programm, was ja sehr investiv ausgerichtet ist, auch so ein eher konsumtives Programm haben, was so Projekte in den benachteiligten Quartieren fördert. Auch da spielt das Thema Gesundheitsförderung aus meiner Wahrnehmung eine zunehmend größere Rolle. Und dann muss man sagen, dass gerade das ist vielleicht auch so ein positiver Effekt in Anführungsstrichen positive, eine der wenigen positiven Effekte der Pandemie, sage ich mal, dass wir zu einer Stärkung der öffentlichen Gesundheitsdienste wiedergekommen sind, dass viele Kommunen und Bundesländer erkannt haben, dass die Pandemie uns gezeigt hat, dass unsere öffentliche Gesundheitsdienste da eben zu schwach aufgestellt sind, und da sehe ich schon so eine gewisse Renaissance, auch dass diese Dienste jetzt wieder mehr Mittel bekommen, auch wieder mehr Programme auflegen können, um wirklich die Menschen auch von Klein an, also von Primärpräventionsangeboten, auch wieder stärker zu erreichen. Und auch in der lokalen Arbeitsmarktpolitik gibt es so ein leichtes Umdenken, sag ich mal, wenn ich mir beispielsweise das Programm Rehapro anschaue, was ja mit dem Bundesteilhabegesetz ja auch entsprechend gefördert wird. Das ist ja auch ein Umdenken, zu sagen. Ich muss mir eigentlich die Erwerbsfähigkeit der Menschen anschauen, und da muss man auch ein Stück weit sich ehrlich machen und sagen, wie steht es denn um die Erwerbsfähigkeit vieler langzeitarbeitsloser Menschen, und dann auch wirklich mal sich anschauen, wie die gesundheitliche Lage vieler langzeitarbeitsloser Menschen ist, und dann wird man zum Ergebnis kommen. So einfach ist es eben gar nicht für Menschen, die langzeitarbeitslos sind, mal eben in den Arbeitsmarkt hineinzukommen bei bestimmten gesundheitlichen Einschränkungen, die vorhanden sind, weil wir natürlich mit dem Erwerbsfähigkeitsbegriff von drei Stunden pro Tag sehr niedrig ansetzen. Und wie gesagt, ich bin auch im Amt Rechtsbetreuer und sehe da zum Beispiel auch einen meiner Klienten, der, wie gesagt, lange Zeit Alkoholprobleme hatte, gesundheitliche Probleme in Richtung Depression. Da ist eine Zehe amputiert worden, und trotzdem zählt als erwerbsfähig. Also da, da kann man wirklich genau, und die Gutachten, auch von Reha, Kliniken, haben aber immer wieder das Kreuz bei erwerbsfähig gesetzt. Also da, da müssen wir einfach mal ein Stück weit ehrlicher machen, was heißt für uns Erwerbsfähigkeit und was, wenn wir den Begriff so niedrig ansetzen, was sind dann unsere Erwartungen? Ich habe häufig das Gefühl, das fällt aus andere, wir zählen, alle möglichen Menschen, irgendwie ist erwerbsfähig, habe aber dann extrem hohe Erwartungen. Und da ist zum Beispiel das Programm Rehapro jetzt so einer dieser Pflanzen, sage ich mal, die man weiter pflegen muss, weil die eben sich ein Stück weit ehrlicher machen und sagen, wir haben eben ne ganze Reihe von Menschen, wo wir durchaus was verbessern können in Bezug auf die Erwerbsfähigkeit, und wir müssen erst die Erwerbsfähigkeit verbessern, ehe wir über irgendwelche Druck und Zwang und ähnliche Maßnahmen nachdenken, und zu sagen, jetzt müsst ihr aber ihr müsst ihr folgendes Jobangebot annehmen, sondern erstmal tatsächlich an dieser gesundheitlichen Situation was zu verbessern. Und auch durch diese ganze Diskussion zum Thema lokale Klimapolitik. Auch da sehe, ich, komme so ein bisschen dieses Thema Gesundheit nochmal über eine andere Schiene rein, wenn ich mir jetzt sowas wie Hitzeaktionspläne. Wir haben zum Beispiel gerade hier in Bremen so eine Hitzekarte gemacht und kommen natürlich wenig überraschend zum Ergebnis, dass es die sozial benachteiligten Quartiere sind, die auch wieder am stärksten von Hitzephänomen betroffen sind, und dann müsste man natürlich auch die Konsequenz, da sind wir, glaube ich, noch nicht unbedingt in jedem Schritt zu sagen. Was heißt das, dass wir das wissen, dass es diese Quartiere sind. Aber das hieße natürlich zum Beispiel, man müsste sehr viel stärker in Entsiegelung von diesen von Flächen in den benachteiligten Quartieren gehen, sehr viel stärker in Richtung Begrünung, sehr viel stärker sozusagen Abkühlung, auch Sanierung von Wohnraum. Das sind dann die Schritte, die dann auch kommen müssten, wenn man sozusagen lokale Klimapolitik auch ernst nimmt, und die würden sich natürlich dann auch wieder positiv auf die gesundheitlichen Rahmenbedingungen von von langzeitarbeitslosen Menschen auswirken. Nichts desto trotz sage ich, trotz dieser positiven Entwicklung, die ich aufgezeigt habe, gibt es da durchaus noch eine ganze Menge Luft nach oben, also gerade so diese Verzahnung von diesen, von diesen Projekten mit den Lebenswelten, also gerade die direkte Verzahnung von Krankenkassen mit den Trägern von Schulen und Kitas. Da sehe ich noch Potenzial, nach oben, dort wirklich auch zu verlässlichen Kooperationen zu kommen. Der Personalmangel schlägt auch immer mehr an vielen Stellen durch und er schlägt vor allen Dingen dann durch oder deshalb auch dort in diesem Bereich so stark durch, weil wir halt immer wieder mit projektförmigen Strukturen arbeiten. Das heißt, mit befristeten Projekten soll irgendwas gemacht werden und dann enden diese Projekte halt auch wieder, und dann gibt es halt, wenn es gut läuft, ein neues Projekt, wenn es wieder ein neues Förderprogramm gibt oder das alte Förderprogrammen immer noch existiert. Wenn wir dann aber wieder in Situationen kommen. Und da kommen wir zunehmend natürlich rein mit kommunalen Haushalten, die Bundesländer müssen sparen, der Bund ist nicht bereit, sozusagen auch bestimmte Programme vorzuführen, sind das natürlich Dinge, die dann auch schnell, relativ schnell wegbrechen. Und das ist so ein bisschen wieder die Sorge, die ich habe, dass wir in diesen projektförmigen Strukturen ist uns eben nicht gelingt, das zu institutionalisieren. Das müsste eigentlich die große Aufgabe sein, zu sagen, wir haben jetzt hier bei diesen Projekten festgestellt, dass bestimmte Dinge richtig gut funktionieren. Dann lasst uns die doch institutionalisieren und dieser Schritt gelingt mir noch zu selten.
Alina Büyükdag: Vielen dank erstmal für die aufschlussreiche Antwort dazu. Ich habe so ein bisschen versucht mal mitzuschreiben, sind ja jetzt einige wichtige Punkte gefallen. Ich habe da so ein bisschen auch Bedürfnis- und Bedarfsgerechtigkeit notiert, wenn sie erzählen, die Segregation ist relativ stark, Trennung in den Milieus. Da sprechen wir viel von Heterogenität, da sehen wir auch bei unserer Zielgruppe. Wir haben die Gemeinsamkeit der Arbeitslosigkeit, aber darüber hinaus, das Alter, gesundheitliche Probleme, Vorerkrankungen et cetera, Migrationshintergründe eventuell. Da unterscheidet sich einfach die Zielgruppe ganz stark und da ist dann eben diese zielgruppenspezifischen Angebote sehr wichtig, was wir in den Quartieren, aber, wie sie sagen, durch viele Projekte, Programme mittlerweile so ein bisschen aufgefangen haben, was man aber noch verstärken kann in den Lebenswelten. Genau da haben wir auch von unserem Programm aus Team für Gesundheit und Arbeit sehr gute Erfahrungen mit gemacht, dass man da wirklich erst mal, wie sie sagen, zunächst erst mal wieder erwerbsfähig wird, das heißt, erst mal was für die eigene Gesundheit tut und dann versucht, im nächsten Schritt eine Wiedereingliederung in die Arbeit, dass man das quasi wirklich Schritt für Schritt macht, nicht diesen Druck, wir müssen direkt wieder in die Arbeit finden, weil genau das ist wahrscheinlich auch der Punkt, wo es dann, ja, mit der psychischen Gesundheit oder ähnliches, dieser starke Druck einfach von oben mit chronischen Erkrankungen, die noch gar nicht bearbeitet sind oder wegfallen, dass man wieder in die Arbeit finden kann. Das Problem ansonsten, genau wie sie sagen, Verhältnisprävention ist auch nochmal ein großer Punkt, gerade wie sie gesagt haben mit den Hitzekampagnen. Wir wissen, was das Problem ist. Verhaltensprävention ist teilweise auch schon ganz gut ausgebaut. Aber wie schaffen wir denn Verhältnisse? Und Begrünung, Sanierung, Entsieglung? Das sind quasi Prozesse, die Jahrzehnte lang andauern werden. Aber ich denke, mit Programmen und Rehapro-Projekten geht es schon mal in die richtige Richtung. Haben sie denn noch ganz konkret für unsere Hörer und Hörerinnen, die Multiplikatoren in der Arbeitsförderung sind Best-practice Methoden oder Möglichkeiten, was sie konkret tun können oder auch Akteure in der Gesundheitsförderung? Noch ganz konkret, wenn wir jetzt wirklich nochmal eine Ebene auf der operativen Ebene runtergehen.
Dr. René Böhme: Ja, ich glaube, da haben sie gerade auch hier schon zusammengefasst. Also, es ist einfach ganz wichtig, dass wir immer wieder auch in der Kommunikation nach außen dieses Verhältnispräventionsansatz betonen, auch gerade wenn wir mit lokaler Politik, mit Bundespolitik, mit Landespolitik sprechen. Wir merken ja, wie wir in so einem permanenten Deutungskampf sind in dieser Frage, beim Thema Langzeitarbeitslosigkeit. Und wenn man die Einlassungen eines Carsten Linnemann regelmäßig hört, dann schaudert es einen, wenn man sozusagen die Befürchtung haben muss, dass dieser Mann irgendwann in politische Verantwortung kommt, sozusagen auf der Bundesebene, weil er sollte sich diesen Podcast in jedem Fall anhören, weil er sozusagen die Ursachen von Langzeitarbeitslosigkeit leider überhaupt nicht verstanden hat und er glaubt, mit mehr Druck kommen wir zu positiven Ergebnissen. Aber die Forschung sagt klipp und klar, nein, das werden wir nicht schaffen. Also, mehr Druck ist der falsche Weg. Das ist sozusagen das, was uns die Agenda gezeigt hat, die Agendareform, dass es mehr Druck nicht bringt. Wir haben viele Menschen, die im SGB II sind, die sind seit 2005 im SGB II, und jetzt haben wir praktisch eine kleinere Veränderung in den letzten Jahren dadurch, dass mehr Zuwanderung auch gekommen ist und damit natürlich bestimmte zusätzliche Herausforderungen bestehen. Und da wissen wir aber auch aus verschiedenen anderen Studien, dass Geflüchtete ihre Zeit brauchen, bis sie in den Arbeitsmarkt kommen. Das war in den 90er-Jahren bei Geflüchteten aus Jugoslawien nicht anders. Da hatten wir auch gut 15 Jahre hat es gedauert, bis die die gleiche Erwerbsquote hatten wie andere Zuwanderergruppen. Da sind wir bislang glücklicherweise sogar auf einem deutlich höheren Pfad, wenn man sozusagen die prozentuale Entwicklung der Erwerbsquote der Geflüchteten, der 2005, 2015, 16, 17 sieht, da bewegen wir uns auf einem höheren Niveau. Der öffentliche Diskurs tut aber so, als sei sozusagen alles ganz, ganz schrecklich, insbesondere sozusagen aus der aus der konservativen Ecke her. Und da müssen wir uns, glaube ich, einfach in der Kommunikation immer noch mal wieder und sozusagen die Sinne schärfen, dieses Thema Verhältnisprävention immer wieder zu betonen, zu sagen, was sind die Ursachen, und wie müssen wir ansetzen, nämlich wie sie es gesagt haben, Belastungen reduzieren, Ressourcen aufbauen dann sozusagen den Weg, Qualifizierung und dann in den Arbeitsmarkt, und das braucht eben Zeit, und viele Maßnahmen sind eben häufig zu kurz und ignorieren einfach die Rahmenbedingungen vor Ort. Also, da habe ich jetzt gerade auch im Rahmen einer Evaluation hier in Bremen, habe ich mir so verschiedene Projekte auch für Alleinerziehende angeschaut, die langzeitarbeitslos sind, und wenn die dann ein Coaching von sechs bis zwölf Monaten bekommen, aber so viele Problemlagen in diesen sechs bis zwölf Monaten, da soll ein Kita Platz gefunden werden, was sozusagen schon heute ein riesiges Problem ist, weil wir massenweise sozusagen fehlende Kitaplätze haben. Da muss die gesundheitliche Situation verbessert werden. Da sollen Sprachkurse gemacht werden, wo wir Wartezeiten, gerade auch bei den Integrationskursen, teilweise Wartezeiten von sechs bis zwölf Monaten haben. Wenn wir einen Integrationskurs mit Kinderbetreuung sozusagen suchen, ist es fast ganz aussichtslos. Von daher brauchen sie eigentlich erst den Kitaplatz, dann den Integrationskurs und brauchen dann irgendwie auch noch eine Verbesserung ihrer gesundheitlichen Lage. Das sind Prozesse, die man eben gut und gerne zwei, drei Jahre brauchen, bis sie dann mit einer Qualifizierung beginnen können. Weil, wenn sie die Leute vorher in die Qualifizierung reinbringen, dann ist die Wahrscheinlichkeit relativ hoch, dass die Qualifizierung eben nicht erfolgreich beendet wird, sondern wir müssen eben erst die Menschen stabilisieren, um sie dann in die Qualifizierung reinzugeben und diese Zeit den Menschen zu geben. Das ist, glaube ich, das, was wir auch immer noch mal wieder kommunizieren müssen, dass es eben einfach diese Zeit braucht. Und was jetzt so positive, konkrete positive Beispiele betrifft, sehe ich zum einen wirklich nochmal, wenn wir auf dieser Primär-Präventionsebene das ist wie gesagt, eine andere Ebene, nämlich zu verhindern, dass ich eben soziale Benachteiligung im Elternhaus auch eben auf die Kinder durchschlägt. Da sind für mich wirklich die öffentlichen Gesundheitsdienste ganz stark, mit diesem präventionsketten Ansatz wirklich von Geburt an auch Kinder mit Angeboten zu erreichen. Da gibt es, wie gesagt, mittlerweile ganz, ganz tolle Angebote, die ich finde, beispielsweise hier in Bremen unter diesem Stichwort Tipptapp und Tipptapp-Prä, wo man wirklich mit Hausbesuchsprogrammen operiert, Familien eben kurz nach der Geburt, nach sechs Monaten, nach zwölf Monaten zu Hause aufsucht und mittlerweile eben das ganze wieder erweitert hat, weil man festgestellt hat, es gibt eben bestimmte Milieus, die wollen diesen Besuch zu Hause nicht. Dann versucht man eben auch wieder, in den Geburtskliniken Kontakt mit den Familien aufzunehmen oder auch öffentliche Stellen im Stadtteil zu schaffen, wo man diesen Kontakt mit Familien herstellen kann, beispielsweise irgendwo in der Nähe des des lokalen Supermarktes, da ein Büro zu haben, wo man, wenn man die Familie ein, sozusagen zu Hause nicht reinlässt, aber trotzdem sagen kann, Mensch, wenn sie eine Frage haben, kommen sie doch bei uns, wenn sie das nächste Mal beim Supermarkt sind, kommen sie doch bei uns einfach mal um die Ecke vorbei. Also da wirklich wieder die Menschen auch stärker anzusprechen, wie gesagt, das Stichwort Gesundheitsfachkräfte in den Kitas, in den Schulen, ich sehe viel auch mittlerweile wieder so peer to peer Elemente, die ich wichtig finde. Stichwort, wie Stadtteileltern, was sie zur Programme sind in dem Bereich, wo sozusagen eine Kommunikation von Eltern zu Eltern. Aber das gleiche gibt es auch im Bereich von Langzeitarbeitslosigkeit, also das Langzeitarbeitslose irgendwie auch andere Langzeitarbeitslose so ein Stückchen coachen, mitnehmen, also wirklich diesen Austausch untereinander befördern. Das finde ich ganz, ganz wichtige, wichtige Ansätze, weil sie diesen diesen Partizipationsgedanken eben auch so so stark mittragen. Das ist, glaube ich, nochmal ganz, ganz wichtig. Und dann, was so die Infrastruktur in den Quartieren betrifft, glaube ich, brauchen wir irgendwie Ansätze, wie wir auf diese defizitäre gesundheitliche Versorgung in den benachteiligten Quartieren reagieren. Und da finde ich den den Prozess, das heißt sozusagen lokales integriertes Gesundheitszentrum hier in Bremen, Gröpelingen, finde ich einen ganz spannenden Prozess, weil er eben eine Reaktion darauf ist, dass wir seit vielen Jahren in diesem Stadtteil eine schlechte gesundheitliche Versorgung beklagen. Gleichzeitig, weiß ich noch, hatten wir damals auch, als wir 2015 hier die Armutskonferenz zu dem Thema hatten, auch versucht, irgendwie kassenärztliche Vereinigung für das Thema zu sensibilisieren, politische Mandatsträger dafür zu sensibilisieren, sind da aber einfach auf Granit Gebissen. Also, da sind wir keinen Schritt vorangekommen, und die, die aber ordnet, mit denen wir gesprochen haben, haben uns auch versichert, wir probieren da schon seit vielen Jahren auch irgendwie auf die KV Einfluss zu nehmen. Die möchte aber eben ungern diese Ärztesitze kleinräumiger steuern, sondern eben nur auf der gesamtstädtischen Ebene. Und dann ist, finde ich, so ein Prozess zu sagen, dann gehe ich eben auch als Staat da in die Verantwortung und schaffe eben solche lokalen Gesundheitszentren, wo wir eben so eine Art Bündelung auch hinbekommen von Beratungen, die auch gar nicht erst mal unbedingt zu diesem Gesundheitsthema sein muss, sondern eben erst mal zu ganz anderen Themen auch eine Beratung sein kann, also erst mal nur eine Beratung beispielsweise zum Thema Antragsverfahren SGB II, ich habe meinen zwei Bescheid nicht verstanden oder ähnliches, und dann merke ich, in der Beratung sind aber auch noch andere Problemlagen im Hintergrund. Und dann kann ich gleich verweisen auf eine Kollegin, die im selben Gebäude sitzt, die sich auch noch mal sozusagen das aus einer anderen Perspektive anschaut. Also das finde ich das ganz spannend, da wirklich so verschiedene Beratungsansätze zu bündeln und dann eben das mit diesem Gesundheitsthema zu verknüpfen. Und ich glaube, in diese Richtung müssen wir gehen, mehr solcher niedrigschwelligen Orte auch in den Benachteiligten Quartieren zu haben, die Angebote zum Thema Gesundheitsförderung haben, wo das aber nicht praktisch gleich außen dran steht. Das ist jetzt sozusagen der Ort, wo ich hingehe, wenn ich gesundheitliche Problemlagen habe, sondern das muss niedrigschwelliger erfolgen. Der Zugang muss niedrigschwelliger erfolgen, und wenn ich den Zugang dann einmal gefunden habe zu den Menschen, dann kann ich im zweiten und dritten Schritt auch irgendwie das Thema Gesundheitsförderung letztendlich dort dann mit einbauen.
Alina Büyükdag: Bei dem Peer Ansatz wollte ich noch so ein bisschen ansetzen. Wir haben das nämlich jetzt auch bei uns integriert im Programm, dass wir eine Art Losenkonzept haben, und genauso, wie sie es gesagt haben, langzeitarbeitslose Menschen können langzeitarbeitslosen Menschen eben helfen und unterstützen im Bereich der Gesundheit, und das ist auch nochmal ein ganz wichtiger Aspekt. Auch in den Quartieren sind wir unterwegs, einfach in vorhandenen Beratungsstellen zum Beispiel oder Kontaktstellen, Bildungsträgern, dass wir da sehr niedrigschwellig auch ins Quartier direkt kommen, in die Lebenswelten direkt kommen, was ich sonst auch noch mitgeschrieben habe. Auf politischer Ebene sind wir ja auf sie und was sie auch tun, so ein bisschen angewiesen. Als Sozialwissenschaftler die Kommunikation, Transparenz, Information, die Pressearbeit, die sie tun, das ist schon mal ein sehr wichtiger Aspekt, damit wir da auch mehr in Richtung Verhältnisprävention vielleicht kommen auf operativen Ebene bei den Multiplikatoren, wie sie sagen, einfach diese, dieses sensibel sein bei den Menschen, diese Stabilisierung nicht nur auf gesundheitlicher Ebene, sondern wirklich abholen, was für Bedarfe gibt es denn eigentlich und Bedürfnisse bei den Menschen selbst und den nächsten Schritt dann zu sehen, okay, was haben wir denn für Projekte? Sie haben einiges genannt, für alleinerziehende Menschen, für Menschen mit kleinen Kindern zum Beispiel wir als Programm zur Gesundheitsförderung für arbeitslose, langzeitarbeitslose Menschen. Genau das ist auch noch mal zur Zusammenfassung für unsere Multiplikatorinnen und Akteure. Da hat man ja direkt Lust, eigentlich schon los zu starten und was zu tun. Aber es ist einfach ein Prozess, aber auf jeden Fall ziemlich spannend, was ich jetzt auch noch für Informationen hier mitgenommen habe. Als letzte Frage würde ich einfach nochmal so ein bisschen dahingehen: Gibt es noch Ergänzungen oder Dinge, die jetzt im Gespräch aufgekommen sind, die sie gerne noch ansprechen würden?
Dr. René Böhme: Ja, vielleicht als allerletzten Punkt, weil das natürlich immer mal wieder die Frage auch kommt, der der Wirkungskontrolle. Das ist in diesem Bereich natürlich wirklich extrem schwierig, weil immer mal die Frage auch aufkommt, wie kann man denn sozusagen Effekte auch nachweisen, und das ist in dem Bereich tatsächlich sehr kompliziert, weil wir natürlich, im Bereich Gesundheit ist es eben multikausal. Da wirken eben ganz viele Dinge aus unterschiedlichen Richtungen ein und wir begleiten die Menschen ja häufig in so Projekten ja immer nur einen relativ kurzen Zeitraum und da gibt es praktisch tatsächlich aus meiner Sicht noch Forschungsbedarf. Wie gesagt, im Bereich der Primärprävention, da gibt es gerade ein Forschungsprojekt, wo man tatsächlich mal versucht, hier im deutschsprachigen Raum das zu untersuchen, macht es einen Unterschied, wenn ich Familien mit ihren Kindern von Geburt an entsprechend mit Angeboten unterstütze und das wirklich lückenlos gestalte oder im Vergleich zu Familien, denen ich das selbst überlassen. Da hat man praktisch mit einer Kontrollgruppe und Untersuchungsgruppe gearbeitet, sogenannte Briese Projekt, und im Bereich Gesundheitsförderung würde ich mir das manchmal noch ein bisschen wünschen, dass wir auch da nochmal wirklich auch mehr in den Langzeituntersuchungen haben, um da einfach auch diesen Vorurteilen bisschen was entgegensetzen zu können und zu sagen: Mensch, wir haben das jetzt wirklich mal nachgewiesen, dass, wenn wir über einen längeren Zeitraum dieses Thema Gesundheitsförderung wirklich substanziell unterstützen und da eben rausgehen aus dieser klassischen Schiene mit Druck und wenig Zeit und schnell in irgendeine Maßnahme, schnell in irgendeine Arbeitsgelegenheit, dass ich das wirklich auch langfristig besser auswirkt. Da würde ich mir gerne auch als Sozialwissenschaftler eben wünschen, dass man da noch ein bisschen mehr Futter hat, um dann wirklich auch argumentieren zu können.
Alina Büyükdag: So kann man eben auch passgenau Gesundheitsförderungsangebote platzieren. Das ist ja genau auch die Frage: Ursache- Wirkungsprinzip. Hat die Arbeitslosigkeit mich krank gemacht, oder hat meine Krankheit mich arbeitslos gemacht? Und da, da wirken laut Studien beide Prozesse ja gleichermaßen, und da bin ich echt gespannt, was bei der Studie dann rauskommen würde bei dem Projekt. Genau das kann man halt auf viele Ebenen noch weiter ausbreiten. Diese Form von Forschung, super, viele Informationen! Ich danke Ihnen sehr für ihre Zeit und den Podcast.
Dr. René Böhme: Gerne.
Alina Büyükdag: Und wünsche Ihnen hiermit noch einen ganz schönen Tag und hoffentlich auf Wiedersehen, auf Wiederhören!
Dr. René Böhme: Ja, Tschüss.
Alina Büyükdag: Tschüss!