Sprache als Brücke – Dos and Don’ts im Dialog mit Geflüchteten

Anhelina Savenko — Studentin des Studi­en­gangs Health Commu­ni­cation an der Univer­sität Bielefeld & Prakti­kantin in der Arbeits­markt­in­te­gra­tiven gesundheitsförderung

29.08.2025

Geflüchtete verlassen ihre Heimat infolge existen­zi­eller Bedro­hungen wie Verfolgung, Vertreibung oder bewaff­neter Konflikte. Trauma­tische Erfah­rungen vor, während und nach der Flucht sowie belas­tende Lebens­be­din­gungen im Aufnah­meland führen häufig zu erheb­lichen psychi­schen Belas­tungen¹. Seit Beginn des russi­schen Angriffs­krieges im Februar 2022 ist die Zahl ukrai­ni­scher Staats­an­ge­hö­riger in Deutschland von rund 151.000 auf über 1,2 Millionen im Jahr 2025 gestiegen². Die Mehrheit sind Frauen, oftmals allein mit Kindern einge­reist, da wehrpflichtige Männer nicht ausreisen dürfen³. Diese Gruppe gilt als besonders vulnerabel, da sie neben der Bewäl­tigung von Flucht- und Kriegs­er­fah­rungen mit einge­schränktem Arbeits­markt­zugang, Sprach­bar­rieren, fehlender Kinder­be­treuung und psychi­scher Belastung konfron­tiert ist³.

 

Warum sprechen Menschen miteinander?

Menschen führen Gespräche aus unter­schied­lichen Gründen. Erstens, um praktische Infor­ma­tionen, Unter­stützung oder Ressourcen zu erhalten, die bei der Lösung aktueller Probleme helfen. Zweitens, um emotionale Stabi­lität zu erlangen – indem man verstanden wird, Gefühle ausdrückt und so innere Anspannung abbaut. Drittens, um Erfah­rungen und Verän­de­rungen zu reflek­tieren und daraus Entschei­dungen für die Zukunft abzuleiten. In der Realität durch­laufen erfolg­reiche Gespräche meist alle drei Phasen. Besonders im Kontakt mit Geflüch­teten, die oft unter Belas­tungen und trauma­ti­schen Erfah­rungen leiden, ist es entscheidend, Gespräche sensibel zu gestalten und dabei eine klare Struktur zu nutzen.

Man sollte mit Geflüch­teten nicht automa­tisch so sprechen, als handele es sich ausschließlich um Opfer, da Menschen aus unter­schied­lichen Regionen und Kontexten kommen und sehr verschiedene Erfah­rungen gemacht haben – einige haben weder Bomben gehört noch in Schutz­räumen gesessen, während andere gravie­rende trauma­tische Ereig­nisse wie Gewalt, den Verlust naheste­hender Personen oder andere einschnei­dende Erfah­rungen erlebten; um angemessen und respektvoll zu kommu­ni­zieren, ist daher ein grund­le­gendes Wissen über die jeweilige Herkunfts­region und die spezi­fische Situation im Herkunftsland hilfreich. 

 

Wie spreche ich am besten? – Gesprächsalgorithmus⁴

Zu Beginn empfiehlt sich ein klar struk­tu­rierter Ablauf, der Sicherheit schafft und Vertrauen aufbaut:

  1. Über sich selbst sprechen – Den eigenen Namen, die aktuelle Rolle oder Funktion sowie den zeitlichen Rahmen des Gesprächs nennen. Dies schafft Trans­parenz und reduziert Unsicherheit.
  2. Nach dem Zustand fragen – Offen nach dem aktuellen Befinden und der momen­tanen Lebens­si­tuation erkundigen.
  3. Emotionen ansprechen – Raum geben, damit die Person Gefühle ausdrücken kann, und empathisch reagieren.
  4. Gedanken und Perspek­tiven – Sich für die Sicht­weise, Bewer­tungen und möglichen Pläne der Person inter­es­sieren, ohne zu drängen.

Do’s – Was soll und darf man fragen⁴ ⁵ 

  • Sicherheit und Rahmen klären – Gleich zu Beginn erklären, wer man ist, wie lange man Zeit hat, und was im Gespräch möglich ist.
  • Offen und neugierig sein – Offene Fragen stellen, die Raum für indivi­duelle Antworten lassen, z. B. „Wie war deine Ankunft hier?“:
    • Nach Herkunft fragen – Region oder Stadt, bei Soldaten ggf. Einheit, aber ohne Druck.
    • Nach Wohlbe­finden fragen – „Fühlst du dich jetzt etwas besser?“
    • Unver­bind­liche Themen ansprechen – Hobbys, Studium, Beruf, Alltag.
  • Zukunft nur vorsichtig ansprechen – „Haben Sie schon Ideen, was Sie als Nächstes machen möchten?“
    Dabei bewusst Raum lassen, denn viele neu Angekommene sehen momentan keine klare Perspektive und wissen nicht, wie sich die Situation in ihrem Heimatland entwi­ckeln wird oder ob es überhaupt eine Möglichkeit zur Rückkehr geben kann.
  • Aktiv zuhören – Mehr zuhören als reden, Signale des Verstehens geben (nicken, kurze Bestätigungen).
  • Angebot zur Unter­stützung formu­lieren – „Ich kann Ihnen helfen, wenn Sie das möchten.“
  • Ressour­cen­ori­en­tiert sprechen – Stärken und kleine Fortschritte anerkennen, z. B. „Es ist beein­dru­ckend, wie du diese Situation meisterst.“
  • Gemein­sames Verständnis schaffen – Missver­ständ­nisse klären und Begriffe erklären.

Trotz aller Offenheit kann es passieren, dass unbeab­sichtigt ein trauma­ti­sches Erlebnis angesprochen wird, über das die Person nicht reden möchte. In diesem Fall sollte sensibel reagiert werden, ohne Schuld­zu­wei­sungen. Hilfreich ist eine kurze Nachfrage („War das gerade unpassend?“), gefolgt von einer Entschul­digung und der Rückkehr zu einem neutra­leren Gesprächs­thema.⁴ 

 

Don’ts – Was vermieden werden sollte

Beim Einstieg in das Thema Don’ts ist es hilfreich, sich einige grund­le­gende Gesprächs­prin­zipien vor Augen zu führen: Im Gespräch sollte man ganz im Moment sein – nicht nur körperlich anwesend, sondern auch gedanklich aufmerksam. Wenn man etwas nicht weiß, ist es besser, dies ehrlich zuzugeben, anstatt zu speku­lieren. Ebenso ist es wichtig, die eigene Erfahrung nicht mit der des Gegen­übers gleich­zu­setzen, da jede Geschichte einzig­artig ist. Und schließlich: Wirklich zuhören, ohne das Gespräch sofort mit eigenen Erzäh­lungen oder Ratschlägen zu unter­brechen, schafft die Basis für Vertrauen und Offenheit.

  • Nicht annehmen, was der andere fühlt oder braucht ⁵ – Keine vorschnellen Deutungen oder „Ich weiß, wie Sie sich fühlen“.
  • Nicht drängen oder dominieren – Keine Themen aufzwingen, Gesprächs­führung nicht komplett übernehmen.
  • Keine direkten Fragen zu Verlusten oder Kriegs­er­eig­nissen stellen (in der Bearbeitung) – z. B. „Wer aus ihrer Familie lebt noch?“ oder falls mit Militär­person „Wie war deine Zeit während des Dienstes?“. ABER: Wenn die Person offen darüber sprechen möchte, sollte man aufmerksam zuhören, echtes Interesse zeigen und den Erzählraum respektvoll halten, ohne zu unter­brechen oder zu bewerten. Manchmal teilen Menschen erschüt­ternde Erleb­nisse aus ihrem Leben und aus dem Krieg. In solchen Momenten ist es wichtig, achtsam zuzuhören – nicht aus Sensa­ti­onslust, sondern um ihnen das Gefühl zu geben, dass ihre Geschichte gehört und gewürdigt wird. Wenn du merkst, dass du die Geschichte gerade nicht hören kannst oder möchtest, solltest du das respektvoll und ehrlich kommu­ni­zieren, ohne die Person abzuwerten. Du könntest zum Beispiel sagen: „Es tut mir leid, ich merke gerade, dass ich nicht in der richtigen Verfassung bin, um dir so zuzuhören, wie du es verdienst.“
  • Sensibel bei Fluchtweg-Fragen – Die Flucht kann trauma­tische Erleb­nisse enthalten; vermeiden Sie direkte Nachfragen.
  • Nicht nach sozialem Status vor der Flucht fragen – z. B. „Waren Sie reich oder arm?“ kann verletzend wirken, da manche vor dem Krieg ein gesichertes Leben mit Haus, Auto und Reisen hatten – und dennoch durch den Krieg alles verloren haben.
  • Keine Bagatel­li­sierung oder Drama­ti­sierung – Sätze wie „Das wird schon“ oder übertrie­benes Mitleid vermeiden.
  • Keine schnellen Ratschläge geben⁵ – Erst zuhören, dann gemeinsam Lösungen entwickeln.
  • Nicht kultu­relle Unter­schiede ignorieren – Vermeiden Sie Pauscha­li­sie­rungen wie „Das ist hier anders, so macht man das“.
  • Bestimmte Floskeln sollten im Gespräch mit geflüch­teten Personen, die ihre Angehö­rigen verloren haben, unbedingt vermieden werden – insbe­sondere, wenn dieser Verlust im Gespräch deutlich wird:
    • „Sie müssen Ihr Leben weiterleben.“
    • „Sie sind noch jung, Sie werden schon wieder jemanden finden.“
    • „Sie müssen doch noch Kinder bekommen.“
    • „Das Universum ist ungerecht – die Besten müssen zuerst gehen.“
    • „Sie müssen loslassen.“
    • „Trauern Sie nicht der Vergan­genheit nach.“
    • „Anderen geht es viel schlechter – sie haben ganze Familien verloren.“
    • „Sie müssen stark sein.“
    • „Halten Sie durch – Ihrer Familie zuliebe.“
    • „Halten Sie durch – die Zeit heilt alle Wunden.“
    • „Jetzt ist Krieg – jeder verliert jemanden.“
  • Nicht ungefragt in der Sprache des Konflikt­gegners sprechen – Sprache kann stark mit trauma­ti­schen Erleb­nissen verknüpft sein. 
    • Negativ­bei­spiel: „Ich kenne ein paar Wörter auf Russisch, die Sprache ist ja ähnlich.“
    • Positiv­bei­spiel: Vorher fragen: „Sprechen Sie diese Sprache oder ist es unangenehm?“
  • Keine „Medien­wahr­heits­fragen“ provo­kativ stellen – Der Krieg ist Realität, was den Geflüch­teten persönlich betrifft und nicht nur ein Diskussionsthema. 
    • Negativ­bei­spiel: „Geht es im Krieg nicht eigentlich nur ums Geld und nicht um Menschenleben?“
    • Positiv­bei­spiel: Interesse zeigen: „Können Sie mir von Ihrer Region erzählen?“/ Falls es für Sie in Ordnung ist – „wie geht es Ihrer Familie?“ / „Können Sie mir ein ukrai­ni­sches Gericht zeigen?“

Fazit

Jede Geschichte ist einzig­artig und enthält sowohl schmerz­hafte als auch überra­schend positive Erfah­rungen. Ich bin 2022 nach Deutschland gekommen und habe den Flücht­lings­status erhalten. Das klingt für viele drama­tisch, doch ich sehe mich nicht nur als jemand, der flieht, sondern als jemand, der seinen Weg weitergeht. In der europäi­schen Kultur habe ich erlebt, dass sensible Themen oft mit großer Vorsicht behandelt oder gar nicht angesprochen werden. Das ist einer­seits respektvoll, anderer­seits wünsche ich mir manchmal einfach jemanden, der zuhört – ohne Angst vor den „falschen“ Fragen.

Es gibt Momente, in denen man sich zwischen den Welten fühlt – weder ganz hier noch ganz dort. Man sucht seinen Platz, lernt, die Tage in der neuen Umgebung zu gestalten, und bleibt dennoch mit der eigenen Vergan­genheit verbunden.

Ich bin Ukrai­nerin, und ich bereue diesen Teil meiner Identität nicht – im Gegenteil. Wie jeder Mensch habe ich Potenzial, und ich will es nutzen, um anderen zu helfen. Ich bin offen für Fragen und werde Antworten finden, auch wenn manches schmerzt. Ich kämpfe nicht nur gegen Vorur­teile und Missver­ständ­nisse, sondern auch für meine Freiheit – die Freiheit, mich in einer Gesell­schaft verstanden zu fühlen und die Gesell­schaft selbst zu verstehen.

Ich bin bereit, Neues zu lernen – Kultur, Sprache, Perspek­tiven – und gleich­zeitig meine eigene Kultur, Sprache und Erfah­rungen zu teilen. Ich bin nicht Opfer meiner Umstände, sondern Gestal­terin meiner Zukunft.

  1. Nesterko, Y., Brunner, J., Glaesmer, H. (2024). Psychische Gesundheit. Trauma­tische Belas­tungen von Geflüch­teten und deren Versorgung. In: Werner, F., Piechura, P., Bormann, C., Breckner, I. (eds) Flucht, Raum, Forschung. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978–3‑658–43707-7_17
  2. Medien­dienst Integration. (2025, März). Ukrai­nische Flücht­linge: Zahlen für Deutschland & Europa. Abgerufen am 12. August 2025, von https://mediendienst-integration.de/artikel/Ukrainische-Fluechtlinge-Zahlen-fuer-Deutschland-Europa.html
  3. Statis­ti­sches Bundesamt [Destatis]. (o. J.). Im Fokus: Russland und Ukraine. Abgerufen am 12. August 2025, von https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/ukraine.html
  4. Medynska, O., & Team „Поговори зі мною“. (2023). Поговори зі мною: Як спілкуватися з людьми, що пережили травматичний досвід [Sprich mit mir: Wie man mit Menschen spricht, die trauma­tische Erfah­rungen gemacht haben]. Projekt „Поговори зі мною“.
  5. Reichelt, S., & Sveaass, N. (1994). Therapy with refugee families: What is a “good” conver­sation? Family Process, 33(3), 247–262. https://doi.org/10.1111/j.1545–5300.1994.00247.x.
  6. Medynska, O., & Team „Як ти, брате?“. (2023). Як ти, брате? Порадник для спілкування з військовослужбовцями та ветеранами [Wie geht es dir, Bruder? Ratgeber für die Kommu­ni­kation mit Militär­an­ge­hö­rigen und Veteranen]. Projekt „Як ти, брате?“.
  7. Headlee, C. (2015, May). 10 ways to have a better conver­sation [Video]. TED Confe­rences. https://www.ted.com/talks/celeste_headlee_10_ways_to_have_a_better_conversation
  8. Semenov, A. (2024). Wie geht es dir… Wie man mit Menschen spricht, die ihre Angehö­rigen verloren haben (7. Aufl.). Projekt „Wie geht es dir, Bruder?“. https://yakty.com.ua (S. 17–18: „Verbotene Phrasen“)
  9. Strel­chenko, A. (2024, April 25). Five things not to say to Ukrai­nians. The Bagpipe. Abgerufen am 8. August 2025, von https://www.bagpipeonline.com/opinions/2024/4/24/five-things-not-to-say-to-ukrainians

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  1. Mirror of the Week
  2. Ukrainska Pravda
  3. Svidomi
  4. Kyiv Post
  5. Hromadske
  6. LIGA.net
  7. New Voice
  8. The Kyiv Independent
  9. Hromadske.Radio
  10. Espreso
  11. UkrInform
  12. Euromaidan Press
  13. Babel
  14. Censor.net
  15. Militarnyi
  16. Texty

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